Die Bibliothek des Zaren
Wunder glauben.
»Hast du den Erlass vernommen?«, fragte der Mohr den Beamten streng. »Befiehl, dass man ihm die Fesseln von den Händen nimmt. Oder willst du die Knute?«
Der Beamte, der ohnehin schon bleich war, wurde richtig kreidebleich.
»Das konnte ich ja nicht ahnen, das konnte ich ja nicht wissen . . .«, lallte er. »Er hat noch nicht einmal seinen Namen genannt . . . Herrgott, wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich doch . . .« Er verschluckte sich und schrie: »Nehmt ihm die Fesseln ab, ihr Scheusale! Die Kleidung, die Kleidung von Euer Gnaden bringt her!«
Matfejews Haushofmeister trat zu Cornelius, schaute ihn finster an und tastete mit seinen kräftigen, harten Fingern die Rippen ab.
»Bist du unversehrt? Haben sie es nicht geschafft, sie zu brechen. Bist du diensttauglich?«
»Ja, Iwan Artamonowitsch«, antwortete von Dorn und zog die Weste an, während er die Überreste des Hemds ablehnte. »Aber es hätte nur wenig gefehlt, dann hätte ich meinen Abschied nehmen müssen. Wegen Invalidität.«
Der Mohr schielte nach dem Wippgalgen und dem Kohlenbecken.
»Gut, ich warte im Freien auf dich. Hier ist stickige Luft. Nur schnell, Kornej. Der Dienst wartet.«
Er ging.
Cornelius knetete seine steifen Handgelenke. So war das also: ». . . da er, wie dem Bojaren bekannt, unschuldig ist«, das war alles. Doch, die russische Rechtsprechung hatte wirklich auch ihre Vorteile.
Er drehte sich zu Silanti, packte ihn mit einer Hand am Bart und verpasste ihm mit der anderen einen Schlag in die Zähne – so richtig aus tiefstem Herzen, dass es krachte. Nicht weil dieser Folterknecht war, sondern wegen seiner Witze, und weil er ihn »Wurm« genannt hatte.
Er ging zu dem Beamten. Der kniff die Augen zusammen. Aber die ganze Wut des Hauptmanns war mit der Maulschelle schon verraucht, so dass von Dorn den Staatsdiener nicht schlug, sondern ihn nur anspuckte.
Iwan Artamonowitsch wartete im Schlitten, neben ihm lag ein Bärenpelz, der für Cornelius bestimmt war.
»Das ging aber schnell«, schmunzelte der Mohr. »Hielten die Beleidigungen sich noch in Grenzen?«
Der Hauptmann verzog die Lippen, setzte sich und hüllte sich in den Pelz.
»Diese verflixten Hunde. Da macht man sich nur die Hände schmutzig. Danke, Iwan Artamonowitsch. Du hast mich gerettet.«
»Es wäre eine Sünde, einen treuen Mann nicht zu retten.« Der Mohr zog die kunstvoll verzierten Zügel an, und die drei grauen Pferde liefen durch den gelblichen Schnee. »Adam Walser hat mich erst am Mittag erreicht, vorher war ich mit dem Bojaren im Zarenpalast. Sobald ich erfuhr, dass man dich ins Kriminalgericht geschafft hat, habe ich mich auf den Weg gemacht. Gut, dass ich rechtzeitig gekommen bin, die verstehen es hier nämlich hervorragend, Menschen in Piroggen mit Innereien zu verwandeln. Nur eins muss ich dir sagen, Kornej. Deinen Eifer verleg auf den Soldatendienst. Spione hat der Bojar auch ohne dich genug. Mal belauschst du die Leute im Palast, mal kletterst du in den Hof des hinterhältigen Taissi. Mäßige deinen Eifer, mäßige ihn. Dass wir dich aus der Folterkammer befreit haben, dafür brauchst du nicht zu danken. Artamon Sergejewitsch lässt seine Mannen in der Not nicht im Stich – das merk dir. Aber dass Taissi, dieser lateinische Hund, mit Miloslawski gemeinsame Sache macht, das wissen wir ohnehin, da brauchst du dir kein Bein auszureißen. Das macht nichts, sobald wir gesiegt haben, rechnen wir mit all diesen Schuften ab.«
»Was heißt das, ›sobald wir gesiegt haben‹?«, fragte der Hauptmann.
»Das kann ich dir sagen. Morgen früh kommt das Moskauer Volk zum Kreml, in Scharen. Sie werden verlangen, dass Pjotr zum Zaren gemacht wird und die Zarin Natalja Naryschkina zur Regentin. Unsere Leute gehen schon durch Moskau und die Vorstädte und machen Mundpropaganda. Fjodor und Iwan sind schwach und krank. Die Ärzte sagen, beide Zarensöhne werden nicht lange zu leben haben, sie eignen sich nicht als Regenten. Geh und schlaf dich aus, Hauptmann. Du bist nicht dazu da, deine Augen und Ohren für den Bojaren aufzusperren, sondern sollst den Degen sicher führen. Morgen bekommst du zu tun. Ab dem Morgengrauen stehst du mit deinen Leuten um den Facettenpalast herum Wache, die Duma wird sich dort versammeln. Halte die Leibwächter und Lanzenträger fern. Wenn es sein muss, mach Hackfleisch aus ihnen. Hast du kapiert, was für ein Auftrag dir anvertraut ist?«
Das war ja wohl deutlich genug. Hackfleisch ist Hackfleisch.
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