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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Cornelius reckte sich wohlig, als er den weißen Fluss mit den schwarzen Eislöchern und den weinroten Streifen der Abenddämmerung am silbernen Himmel betrachtete. Auf Gottes Welt zu leben, war eine Freude. Und der wunderbare Retter Iwan Artamonowitsch hatte zwar ein schwarzes Gesicht, war aber trotzdem ein Engel Gottes, da war nun nicht mehr dran zu rütteln.
    ***
    Cornelius brauchte nicht auszuschlafen; in der »Ritze« hatte er weiß Gott genug gelegen und geschlafen. Nachdem er dem Oberleutnant die nötigen Anweisungen für die Kompanie gegeben hatte (Waffen und Ausrüstung überprüfen, niemand aus der Kaserne lassen, Helme und Harnische auf Hochglanz bringen), zog sich von Dorn um, kippte im Stehen ein Glas Wodka – er hätte gern gesessen, aber dazu war keine Zeit – und setzte sich aufs Pferd.
    Am steinernen Jausa-Tor war er in zehn Minuten, und dahinter begann schon die schwarze Semjonowskaja-Sloboda. Vor Ungeduld und Vorfreude bekam er nicht genug Luft, so dass er nicht durch die Nase atmete, sondern die frostige Luft mit dem Mund einsog. Da Walser in der Artamon-Gasse auf den Mohren gewartet hatte, war er also erstens lebendig und unverletzt, zweitens heil nach Hause gekommen, drittens nicht weggelaufen und viertens ein wirklich anständiger, fairer Mann, woran Cornelius eigentlich nie gezweifelt hatte. Allenfalls in den Augenblicken der Schwäche, als er in der kalten, engen »Ritze« gelegen hatte. Eine böse Natter rührte sich auch jetzt in seiner Seele und zischte: »Er wollte dich nicht etwa retten, sondern er hatte Angst, du könntest ihn unter der Folter verraten, deshalb ist er zu Matfejew gerannt« – doch er versetzte ihr voller Abscheu sofort einen Tritt und zermalmte sie.
    Sein Bruder Andreas hatte gesagt: »Denk nie von einem Menschen schlecht, ehe er nichts Schlechtes getan hat. Wenn ein Mensch dir aber Gutes getan hat, dann ist es eine umso größere Sünde, ihn zu verdächtigen.«
    Als sich dann auf sein Klopfen hin das schmale Guckloch des Eichentores öffnete und Cornelius das vor Glück strahlende Gesicht des Apothekers sah, verstummte das niederträchtige Gezische ganz.
    »O Gott, o Gott«, wiederholte Walser immer wieder den Namen, den er sonst nicht in den Mund nahm, da er bekanntlich die Religion für einen leeren Aberglauben hielt. »Was für ein Glück, Herr von Dorn, dass Ihr lebt! Ich traue kaum meinen Augen. Oh, wie ich mich gequält habe, als ich mir vorstellte, man könnte Euch umgebracht oder verletzt oder schlimmstenfalls zum Kriminalgericht gebracht haben! Selbst der Besitz des Samoleys hat meine Qualen nicht mildern können!«
    »Das Buch ist also bei Euch?«, fragte der Hauptmann verdutzt. »Ihr habt es nach Hause tragen können? Bravo, Herr Walser. Ich hoffe, Ihr habt den Einband nicht abgerissen, um das Gewicht zu reduzieren?«
    Der Apotheker blinzelte ihm zu und sagte:
    »Keine Angst, ich habe ihn nicht abgerissen. Eure ganze Beute ist im ›Altyn-Tolobas‹.«
    »Was heißt, die ›ganze‹?«
    Cornelius blieb mit dem Zügel in der Hand stehen und band sein Pferd am Pfahl fest. Das hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt!
    »Aber . . . aber den Sack konnte man doch kaum heben, selbst ich habe ihn nur mit Mühe schleppen können! Wie habt Ihr diese Last in der Nacht allein durch die ganze Stadt, an allen Toren und Gittern vorbeitragen können? Das ist unglaublich!«
    »Ihr habt völlig Recht«, sagte Walser lachend. »Beim ersten Gitter haben sie mich am Schlafittchen gepackt . . . Lasst uns ins Haus gehen. Es ist kalt.«
    Er setzte seine Erzählung in der guten Stube fort, wo helle Kerzen brannten, ein afrikanisches Krokodil an der Wand die Augen zusammenkniff und auf dem Tisch eine geschliffene Glaskaraffe, deren Facetten funkelten, mit einer dunklen rubinroten Flüssigkeit stand.
    ». . . sie packten mich und schrien: ›Wer bist du? Ein Dieb? Wieso hast du keine Laterne? Was ist in dem Sack: Diebesgut?‹ Und das waren keine einfachen Nachtwächter, sondern richtige Polizeibeamte.«
    »Und was habt Ihr da gemacht?«, fragte von Dorn erstaunt.
    »Wisst Ihr, Herr Hauptmann, ich bin ein ehrlicher Mann und lüge ungern.« Seine Runzeln verzogen sich zu einer spitzbübischen Grimasse, die zu dem gelehrten Apotheker überhaupt nicht passen wollte. »Ich sagte einfach die Wahrheit: ›Ja, in dem Sack ist Diebesgut. Ich bin beim Metropoliten eingestiegen und habe einen Sack voller Bücher geklaut. Ihr könnt mich zurückbringen, dann kriegt Ihr

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