Die Bibliothek des Zaren
die Geschichte der Suche nach der Liberey im wilden Moskowien. Wenn das kein Stoff für einen Roman ist!«
Zufrieden über seinen Witz, lachte er. Walser aber wurde noch finsterer. Er war sichtlich nervös und wurde immer nervöser.
»Ich sage ja, Herr Hauptmann, Ihr seid ein großherziger Mann, und das Bild, das Ihr da ausmalt: ein Haus, ein Garten, Bücher, reizt mich durchaus. Aber mir ist ein anderer Lebensweg bestimmt. Nicht Frieden, sondern Kampf. Nicht Erholung, sondern Opferdienst. Ihr habt richtig geraten: Der Samoley enthält nicht das Rezept für die Herstellung des Steins der Weisen. Aus einem ganz einfachen Grund: Man kann nicht aus einem Element ein anderes gewinnen, aus Quecksilber kann nie Gold werden. In unserem aufgeklärten Jahrhundert glaubt kein echter Gelehrter mehr an diesen alchemistischen Unsinn.«
Cornelius war so verwundert, dass er sogar den Becher mit dem Wein wegschob.
»Aber . . . aber wozu braucht Ihr dann diesen alten Plunder? Wegen der Karfunkel des Landes Wuth?«
»Nein. Mich interessieren die funkelnden Steine und das Gold nicht, da habt Ihr ebenfalls Recht.« Der Apotheker zeigte mit dem Finger auf das aufgeschlagene Buch, und als er weitersprach, zitterte seine Stimme, allerdings nicht mehr aufgeregt, sondern feierlich: »In dieser Papyrushandschrift, die über tausend Jahre alt ist, geht es um etwas ganz anderes. Verzeiht mir, mein prächtiger Freund. Ich habe Euch betrogen.«
***
Als er sah, dass in den Augen des Alten Tränen glänzten, schob Cornelius den Becher zu Walser hinüber und sagte:
»Was nehmt Ihr Euch das so zu Herzen, Freund! Mir ist es doch letzten Endes ganz egal, was da in Eurem Samoley steht. Hauptsache, Ihr seid zufrieden. Seid Ihr denn zufrieden?«
»Ja, sicher«, schrie Walser, und die Tränen in seinen Augen trockneten im Nu. »Der Text übertrifft meine kühnsten Erwartungen! Er wird eine Revolution . . .«
»Na, das ist doch hervorragend«, unterbrach ihn der Hauptmann. »Ihr seid zufrieden, ich bin ebenfalls zufrieden. Und mein Angebot gilt auch weiterhin. In meinem Schloss oder in seiner Nachbarschaft findet sich immer eine behagliche Behausung für Euch. Lasst uns darauf trinken!«
»Ach, wartet doch mit Eurem Wein!«, sagte der Apotheker verdrießlich und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wollt Ihr denn gar nicht wissen, was für einen Schatz ich so lange und so hartnäckig gesucht habe, dass ich mein und Euer Leben in Gefahr gebracht habe?«
»Doch, das interessiert mich brennend. Ich wollte nur sagen, dass ich Euch überhaupt nicht böse bin wegen des Scherzes mit dem Stein der Weisen. Das geschieht mir Unwissendem ganz recht!«
Walser fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als ob er eine Maske auf – oder im Gegenteil absetzen wollte. Als er seinen Gesprächspartner wieder ansah, schien es diesem, als hätte der Apotheker wirklich die Maske des gutmütigen, komischen Sonderlings abgestreift. Jetzt blickte Cornelius ein entschiedener, leidenschaftlicher, zielstrebiger Mann an. Aus den blauen Augen des alten Arztes schossen solche Blitze, dass dem Hauptmann das nachsichtige Lächeln schlagartig verging.
»In diesem Buch«, setzte Adam Walser langsam an, »liegt die Rettung der Menschheit. Nicht mehr und nicht weniger. Ein unaufgeklärter und unvorbereiteter Geist kann es schrecklich finden. Auch für einen gelehrten Mann, dessen Verstand nicht reif ist und dessen Seele sich in der Gewalt einer trügerischen Religion befindet, ist es gefährlich, diese Seiten zu lesen. Selbst Pastor Saventus, ein für seine Zeit überaus gebildeter Mann mit gesundem Menschenverstand, hat es nicht ausgehalten, er ist wie von der Tarantel gestochen geflüchtet. Er hat nicht den russischen Zaren gefürchtet, sondern diese Handschrift.«
»Was ist denn an ihr so schrecklich?«, fragte der Hauptmann, schaute ängstlich auf das Buch von Samoley und rückte für alle Fälle etwas vom Tisch ab.
Aber der Apotheker hatte die Frage anscheinend nicht gehört, er setzte seine Erzählung mit gleichmäßiger, gedämpfter Stimme fort, wobei seine Augen jetzt halb geschlossen waren.
»Ich habe Euch betrogen, als ich sagte, ich hätte die Aufzeichnungen des Saventus in der Universität zu Heidelberg entdeckt. Ich stieß auf sie im Archiv der Mailänder Inquisition, wo ich alte Protokolle der Verhöre von Häretikern las, die von den Heiligen Vätern auf den Scheiterhaufen geschickt worden waren. Dieses Privileg hatte mir der Kardinal Litta eingeräumt,
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