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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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kein Krieg geführt«, plapperte der Dolmetscher munter weiter. »Und Umzugsgeld hat dir der Fürst auch zu viel versprochen, so viel können wir nicht zahlen. Und auch das, was wir zahlen können, fehlt uns im Moment. Da musst du warten, ein oder anderthalb Jahre.«
    Cornelius sprang hoch und stampfte mit dem Fuß auf.
    »Ich denke nicht daran, als Porutschik zu dienen, und dann auch noch für den halben Sold! Wenn das so ist, reise ich unverzüglich wieder ab!«
    Lykow lächelte ungut und sagte:
    »Das würde dir so passen! Die hundert Albertustaler Reisegeld vom Zaren einstreichen, sie ausgeben, unsere Städte und Festungen auskundschaften und dann marsch, marsch zurück nach Hause. Vielleicht bist du ein Spion? Nein, Kornej Fondornow, jetzt dienst du erst mal, wie verabredet, und dann werden wir weitersehen.«
    Vor Staunen und Wut geriet Cornelius außer sich, er sprang auf den Vizeminister zu, packte ihn bei seinem Perlenkragen, schüttelte ihn und schleuderte ihm so ungehörige Flüche ins Gesicht, dass die Schreiber aus der Kanzlei angelaufen kamen, um sie zu trennen.
    Der beleidigte Vizeminister rief die Strelitzenwache. Er wollte den Tobsüchtigen schon ins Gefängnis schaffen lassen, entschied dann aber anders und ließ ihn unter Bewachung zum Kommandeur des Regiments bringen, bei dem Cornelius dienen sollte.
    »Oberst Liebenow wird dir schon zeigen, was es bedeutet, kaiserliche Beamte zu beleidigen und am Zarenkaftan zu packen!«, schrie der niederträchtige Vizeminister, und der Dolmetscher übersetzte eifrig. »Er wird dich bei Wasser und Brot in den Kerker sperren und dich mit dem Stock züchtigen lassen! Und wenn er dir keine Stockschläge verabreicht, dann ziehe ich ihn selbst wegen der Entehrung zur Verantwortung!«
    ***
    Der Ritt durch das sich schnell entvölkernde vorabendliche Moskau brannte sich dem erschütterten Cornelius wie ein Albtraum ins Gedächtnis – die angriffslustigen Dachschrägen, die Unheil verheißend gereckten Fingerzeige der Türme, das Begräbnisgebimmel der Glocken. Im Sattel schaukelnd seufzte von Dorn traurig, ja vor Ärger und Selbstmitleid weinte er sogar, wobei er das Gesicht in den Händen vergrub, damit die Bewacher sich nicht freuten. Seinen Hengst führte der Anführer der Strelitzen höchstpersönlich am Zügel, für den Goldfuchs mit dem Gepäck wurden zwei Männer gebraucht. Die kluge Stute wollte sich nicht in Bewegung setzen, sie legte die Ohren an und bockte.
    Hinter dem Tor des Erdwalls – es war ein anderes als das, durch welches die Karawane in die Stadt gekommen war – öffnete sich der Blick auf den Hinrichtungsplatz. Die Galgen mit den daran schaukelnden Toten nahm er nur flüchtig wahr, so etwas sah er nicht zum ersten Mal, von den Pfählen mit den aufgespießten Leibern wandte er sich ab, aber ein wenig weiter sah er etwas, was ihm denn doch einen Schrei entlockte.
    Eine recht große Gruppe Schaulustiger stand um eine Frau herum, die man bis zu den Schultern in die Erde eingegraben hatte. Sie war geschlagen und mit Dreck beworfen worden, lebte aber noch. Von Dorn erinnerte sich, dass die Kaufleute von dem grausamen Brauch der Moskowiter erzählt hatten, nach dem eine Frau, die ihren Mann umgebracht hatte, nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, wie es in zivilisierten Ländern üblich war, sondern bei lebendigem Leibe in der Erde vergraben wurde und so lange dort ausharren musste, bis sie starb. Er hatte gedacht, man vergrabe sie ganz, mit dem Kopf, so dass sie erstickte – das war doch schon schrecklich genug. Aber so, diese lange Qual, das war noch hundertmal schrecklicher.
    Auf die Eingegrabene stürzten sich zwei streunende Köter, die wütend bellten. Der eine zerrte an ihrem Ohr, riss es ab und fraß es. Die Menge zollte lachend Beifall. Die Hände der Verbrecherin steckten unter der Erde, sie konnte sich nicht wehren, schaffte es aber, sich so zu drehen, dass sie dem Rüden in die Nase biss. Wieder kam Bewegung in die Schaulustigen, deren Beifall diesmal der Mörderin galt.
    »Ein barbarischer Brauch«, sagte der Dolmetscher halblaut. »Es gibt Menschen von edler, aufgeklärter Gesinnung, die ihn verurteilen.«
    Woher sollen hier in diesem höllischen Staat denn edle, aufgeklärte Menschen kommen, wollte Cornelius sagen, war aber auf der Hut. Wieso hatte dieser Behörden-Dolmetscher auf einmal den Ton geändert? Das war sicher eine Falle, um ihm ein unvorsichtiges Wort zu entlocken.
    Sie ritten noch ein kleines Stück weiter, da wurde

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