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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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das Haus des Fürsten Tatjew. Er gibt seinen Knechten weder Essen noch Kleidung, deshalb sorgen sie selbst für ihren Lebensunterhalt: Wer vorbeikommt, wird ausgeraubt und geprügelt. Manchmal, bis er tot ist. Das ist nun mal so Brauch in Moskau, schlimmer als in Paris. Auch die Dmitrowka-Uliza sollte man meiden, da treiben die Leibeigenen des Oberkammerherrn Streschnew ihr Unwesen. Ich gebe Euch den guten Rat: Solange Ihr Euch hier nicht zur Genüge auskennt, macht um alle Paläste und großen Häuser einen Bogen. Am besten verlasst Ihr die Deutsche Vorstadt im ersten Jahr grundsätzlich nicht ohne Geleitsleute. Obwohl man hier natürlich auch mit einer Begleitperson hervorragend vor die Hunde gehen kann, besonders nachts. Na, denn lebt also wohl.« Der nette Kaufmann streckte ihm die Hand zum Abschied hin. »Ihr seid ein ehrlicher Mensch, Herr Hauptmann. Gott beschütze Euch in diesem wilden Land.«
    ***
    Doch nein, Gott beschützte ihn nicht.
    Zwei Stunden später kam Hauptmann von Dorn bleich und mit vor ohnmächtigem Zorn zitternden Lippen aus dem Tor der Ausländerbehörde – ohne seinen Degen und bewacht von finsteren Schützen in knallgelben Kaftanen.
    Hauptmann? Von wegen – nur ein mickeriger Leutnant, oder wie sie hier nach polnischer Manier sagten: Porutschik.
    Kaum zu glauben, aber wie sich herausstellte, waren die Vertragsbedingungen, die in Amsterdam von dem russischen Gesandten Fürst Tulupow unterschrieben worden waren, pure Erfindung!
    Dabei hatte doch alles so gesittet und feierlich angefangen. Der Dienst habende Beamte (mit großer eiserner Brille, schmutzigem Kaftan, langem, pomadisiertem Haar) nahm von dem Ausländer das Papier mit den Siegeln entgegen, nickte bedeutsam und befahl ihm, in der Amtsstube zu warten. Dort saßen an langen Bänken die Schreiber, hatten Papierrollen auf den Knien und fuhren schnell mit ihren Federn über das dicke graue Papier. Wenn ein Blatt zu Ende war, leckten sie an einem Fläschchen mit Leim, übertrugen diesen mit der Zunge auf die Papierkante und klebten das nächste Blatt an. Es roch wie in einer Amtsstube üblich: nach Staub, Mäusen und Siegellack. Wenn nicht der deutliche Geruch von Knoblauch und verdautem Kohl in der Luft gehangen hätte, der vom Boden her kam oder direkt aus den Wänden sickerte, hätte man denken können, es handele sich gar nicht um Moskowien, sondern um eine Magistratur in Amsterdam oder Lübeck.
    Wie es sich für das Vorzimmer eines hohen Tiers gehört, musste er lange warten. Schließlich wurde der ausländische Offizier zu Gospodin Lykow vorgelassen, zu einem Podjatschi der Behörde, d.h. zu einem Mann, dessen Rang in Europa wohl dem eines Vizeministers entsprechen würde. Er war verantwortlich für die Unterbringung der ausländischen Neuankömmlinge, ihre Dienstverpflichtung und Versorgung.
    Das Arbeitszimmer seiner Exzellenz war schäbig – ärmlich, mit heruntergekommenen Möbeln, ohne Vorhänge, an Schmuck gab es nur eine kleine verräucherte Madonna in der Ecke, aber dafür beeindruckte Gospodin Lykow selbst Cornelius anfangs sehr. Er wirkte majestätisch, hatte Pausbacken und war nicht schlechter gekleidet als Fürst Tulupow: Er trug einen Brokatkaftan mit Knöpfen aus ungeschliffenen Rubinen, dessen steifer, über den Nacken ragender Kragen mit Perlen besetzt war, und auf der mit Zobel umsäumten Tuchmütze steckte eine funkelnde Diamantbrosche. Man sah sofort: ein Mann von Würde und enormem Reichtum.
    Die Stirn runzelnd und mit dem Kopf nickend, inspizierte er lange den Geleitbrief. Cornelius bekam es auf einmal mit der Angst zu tun. Auf das Hauptmannspatent, das der Gesandte ausgestellt hatte, warf der Vizeminister nur einen kurzen Blick und schleuderte es auf den Tisch, als ob es ein Stück Dreck wäre. Er brummelte irgendetwas Unverständliches in seinen Bart.
    Der kleine schmächtige Dolmetscher, dem ein großer blauer Fleck mitten auf der Stirn prangte, verbeugte sich servil vor dem Vorgesetzten und übersetzte ins Deutsche. Seine Aussprache war merkwürdig, so dass Cornelius nicht sofort verstand:
    »Dem Fürsten Tulupow steht es frei, leere Versprechungen zu machen. Es gibt im Moment keine Vakanz für einen Hauptmann; der Fürst hat nicht die Macht, selbstherrlich Titel zu offerieren. Bei den Musketieren gibt es Platz für einen Porutschik, ob für einen Hauptmann, da bedarf es noch einiger Überlegungen.«
    Von Dorn erstarrte, doch es kam noch schlimmer.
    »An Sold bekommst du die Hälfte, denn im Moment wird

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