Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
dem Holzscheit übergebraten und die er mit Füßen getreten hatte, hatten sich noch nicht das Blut abgewischt, da schleppten sie schon das Geraubte an und brachten später auch die Pferde wieder.
    Als er dann im Hof im Sattel saß, schwankte der Hauptmann, ob er dieses verdammte Räubernest nicht anstecken sollte, aber ihm taten die unschuldigen Trunkenbolde Leid – die Hälfte von ihnen würde es nicht zur Tür schaffen, sondern ersticken.
    Am Abend desselben Tages, weniger als eine Meile vor Pskow, hatte von Dorn Glück: Er traf die europäischen Händler, und das war zu beidseitigem Nutzen und Vergnügen.
    »Das ist das Stadttor«, sagte Meyer seufzend und griff zu dem Lederbeutel, in dem er das Geld für gemeinsame Ausgaben aufbewahrte. »Jetzt werden wir mit dem Zoll feilschen. Das nennt sich hier bellen oder kläffen und gehört zu den einheimischen Bräuchen, ohne die hier zu Lande nichts geht. Er wird brüllen und drei Rubel pro Fuhrwerk fordern, ich werde ebenfalls brüllen, dass ich nicht mehr als drei Altyn gebe, wir werden uns bei anderthalb Rubel einigen, aber nicht gleich, sondern in ein bis anderthalb Stunden. Lauft solange durch die Vorstadt, Herr von Dorn, und vertretet Euch die Beine. Nur Pfeife rauchen dürft Ihr nicht – das ist verboten.«
    Die Vorstadt hieß Jamskaja Sloboda, Kutschervorstadt, weil hier die staatlichen Postboten und Fuhrleute, die Jamschtschiki, wohnten. Zu sehen gab es da eigentlich nichts. Cornelius erblickte weit und breit nur Zäune, hinter denen die mit Gras bedeckten langweiligen Dächer hervorragten, und ging zum Stadttor, um einen Blick auf Moskau zu werfen.
    Meyer und einer der Kaufleute namens Nielssen, der gut Russisch konnte, schrien laut auf die bärtigen Männer in den roten Kaftanen ein. Die waren ebenfalls zornig, einer rasselte sogar mit dem Säbel, allerdings ohne ihn aus der Scheide zu ziehen.
    Die Grenze der russischen Hauptstadt sah so aus: ein trockener Graben, in dem eine magere braune Sau mit ihren Ferkeln spazieren ging, und ein Erdwall mit einem schiefen Staketenzaun. Über den spitzen, zum Himmel ragenden Balkenenden schimmerten die Kuppeln – sie waren größtenteils aus Holz, aber es gab auch eiserne, und eine war sogar golden (von Dorn betrachtete sie mit besonderer Aufmerksamkeit: wirklich, wie aus echtem Gold). Er bekam Lust, so schnell wie möglich durch das Tor zu reiten und alle Wunder der Moskowitischen Hauptstadt gleich selber in Augenschein zu nehmen.
    Endlich ging es weiter. Meyer war zufrieden. Die Zollbeamten wollten ihren Brei löffeln, so dass sie schon bei einem Rubel und fünf Kopeken das Feilschen eingestellt hatten.
    »Kommen Sie mit uns bis zum Gasthof, von da aus ist es nur ein Katzensprung bis zur Ausländerbehörde«, erklärte er. »Ausländerbehörde«, Inosemski Prikas, so hieß das Ministerium, dem die Ausländer unterstanden.
    Zuerst enttäuschte Moskau von Dorn, weil es den übrigen russischen Städtchen und Dörfern stark ähnelte: Felder, Gemüsegärten, Brachland, einsame Gutshöfe. Dann rückten die Häuser etwas dichter aneinander, die Zäune bildeten eine durchgehende Linie, und die Dächer kletterten höher: zwei, drei Stockwerke. Außer ein paar Kirchen aus weichem Kalkstein waren alle Gebäude aus Holz. Cornelius hatte nie eine so große Stadt gesehen, die nur aus Brettern und Balken gezimmert war. Moskau war wohl die größte hölzerne Stadt der ganzen Welt! Sogar der Fahrdamm bestand aus Balken. Die Pferde, die das nicht gewohnt waren, traten vorsichtig und mit rutschenden Hufen auf. Aber als der Hauptmann absteigen wollte, um seinen spanischen Hengst kurz am Zügel zu halten, erlaubte Meyer das nicht, mit der Begründung, in Moskau ginge nur das einfache Volk auf der Straße zu Fuß, ein Edelmann errege damit Anstoß. Selbst wenn du zum Nachbarhaus willst, du musst dich aufs Pferd oder in eine Schlittenkutsche setzen. Die Moskowiter sind in solchen Dingen pingelig.
    »Jetzt kommt der Fleischmarkt«, warnte der Kaufmann und hielt sich die Nase mit einem lavendelgetränkten Tuch zu.
    Cornelius hatte kein Tuch vorbereitet, ihm stockte fast der Atem von dem horrenden Gestank. Der kleine Platz war vollgestellt mit Holzbänken, auf denen dicht an dicht faulende Fleischstücke lagen. Grüne Fliegen krochen darüber, und in braunen Lachen am Rand des Marktes flogen Haufen verdorbener Innereien herum.
    »Die Russen räuchern und salzen das Frischfleisch nicht, das ist ihnen zu anstrengend«, erklärte Meyer durch

Weitere Kostenlose Bücher