Die Bibliothek des Zaren
Cornelius hatte schon etliche Kommandeure gesehen und wusste aus Erfahrung: Hunde, die bellen, beißen nicht.
Von Dorn hörte sich die Schimpferei des Vorgesetzten ohne Widerrede an, ging dann auf den Hof, nahm ein Fläschchen guten holländischen Rum und eine Rolle Batavia-Tabak aus dem Gepäck, und schon wenig später saßen der Oberst und er auf der gemütlichen verglasten Veranda, schmauchten ihre Pfeifen und tranken starken, großzügig mit Rum gewürzten Kaffee.
»Das Ärgerliche daran ist Folgendes«, setzte Liebenau seufzend an, »dieser Fedja Lykow ist kein besonders hohes Tier, ein einfacher Amtsschreiber. Ihr habt lange auf ihn warten müssen, sagt Ihr? Also hat er seinen ›großen Kaftan‹ – das ist so etwas wie eine Paradeuniform – holen lassen, um Eindruck zu schinden. Das ist ganz normal – er spekulierte auf ein Gastgeschenk, das ist in Russland so üblich. Ihr hättet ihm ein paar Zobel aus Eurem Umzugsgeld zustecken sollen, dann wäre alles in Butter gewesen. Und damit er Ihnen gewogen bleibt, hättet Ihr diesen Schurken zusammen mit einigen anderen Amtsschreibern einladen müssen, sie sind ganz verrückt nach Malvasierwein und den kandierten Früchten, die Frau Siebold aus dem ›Storch‹ so herrlich zubereitet. Mehr hättet Ihr nicht zu tun brauchen. Dann hättet Ihr den Hauptmannsrang behalten und das Umzugsgeld. Ach, mein Herr! Wieso haben Euch die Kaufleute das nur nicht gesagt? Ihr hättet zuerst hierher, in die Vorstadt, kommen müssen und erst danach zur Behörde gehen sollen. Jetzt ist es zu spät und nicht rückgängig zu machen. Wenn Ihr Fedja unter vier Augen entehrt oder gar geschlagen hättet, wäre das kein Beinbruch gewesen, aber in Gegenwart von Untergebenen – das ist etwas anderes, so etwas kann er nicht verzeihen. Das ist für ihn ein Gesichtsverlust. Und diese Verletzung seiner Ehre lässt er sich teuer bezahlen.«
Bei dem Stichwort Ehre fuhr von Dorn auf:
»Wenn er ein Mann von Ehre ist, bin ich bereit, ihm Satisfaktion zu geben. Mit welchen Waffen schlägt man sich hier? Mit Degen? Mit Pistolen? Ich bin mit jeder Waffe einverstanden.«
Liebenau lachte. Er lachte lange mit Vergnügen und ohne Scheu.
»Ach, wo denkt Ihr hin – ein Duell! Wir sind doch nicht in Europa. Wenn die hiesigen Adligen Streit haben, wisst Ihr, was es dann für ein Duell gibt? Die setzen sich da auf ihre Pferde und dreschen einander die Peitsche ins Gesicht, bis einer umfällt. Ich sage ja, ein Sklavenland ist das, von so etwas wie Würde haben sie keine Vorstellung. Alle außer dem Zaren sind Sklaven, das gilt auch für den höchstgestellten Bojaren. Nach hiesigen Begriffen kann ein Ehrverlust nur von Gleichgestellten oder Untergebenen ausgehen, von Höhergestellten nie im Leben, selbst wenn sie deine Visage als Klo benutzen. Wenn der Zar einen Fürsten oder Bojaren höchstpersönlich an den Haaren zieht oder ohrfeigt, ist das nur ein Grund, stolz zu sein. Wenn der Winter kommt, geht wieder das liebste Amüsement des Zaren los. Dann kommen die kaiserlichen Kammerjunker mit Absicht zu spät zum feierlichen Umzug zum Palast. Und wisst Ihr, warum? Weil der Monarch die Verspäteten in den Teich tunken lässt; er freut sich dann immer wie ein Kind und klatscht in die Hände. Die Kammerjunker brüllen so kläglich und komisch, wie sie nur können, um es Seiner gesalbten Majestät recht zu machen. Einige verkühlen sich natürlich bei diesem Bad und sterben, aber es kommt auch vor, dass Alexej Michajlowitsch Gnade walten lässt und Geschenke verteilt: einen Pelz zum Aufwärmen oder ein Dorf für den Lebensunterhalt. Solche Adelige sind das hier. Und jeden Tag peitscht man diejenigen von ihnen, die sich etwas zu Schulden haben kommen lassen, vor dem Palast aus. Und da sagt Ihr etwas von Duell!«
»Peitscht man die Ausländer auch aus?«, fragte von Dorn, der schon bei dem Gedanken an diese beschämende Strafe zusammenzuckte und bleich wurde. Er hatte das Geschrei des Vizeministers Fedja von den Stockschlägen für eine leere Drohung gehalten (wo gibt es das denn, dass man Leute adeligen Standes der Prügelstrafe unterzieht?), zu Unrecht, wie sich nun herausstellte.
Der Oberst seufzte nur und sagte, als antworte er auf das Gebrabbel eines begriffsstutzigen Kindes:
»Die Peitsche, das kann man doch nicht Strafe nennen! Das ist ein kleiner Tadel. Ein Hauptmann, der vor kurzem hier angekommen ist, hat ein Gewehr gekauft und zur Probe auf eine Krähe geschossen, die auf dem Kreuz der Kirche saß.
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