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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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halben Jahr die Mehrheit der Soldaten nicht gewusst hatte, wo links und wo rechts ist: Die Linkshänder verstanden unter »rechts« diejenige Hand und dasjenige Bein, mit denen sie besser zurechtkamen, und da es in der Kompanie fünf Linkshänder gab, war an ein reibungsloses Exerzieren nicht zu denken. Damit die Soldaten nicht durcheinander kamen, musste er ihnen neue Wörter beibringen: die Seite, wo das Herz klopft, ist nalewo. Die andere naprawo. Und wirklich, sie hatten sich daran gewöhnt. Auch einem Affen kannst du ja beibringen, in die Hände zu klatschen und eine Polka zu tanzen.
    Die Soldaten hatten es gut, ihnen war vom Marschieren warm geworden, ihre Gesichter waren rot und verschwitzt, aber der Herr Porutschik, der reglos an einer Stelle stand, war ordentlich durchgefroren. Jetzt Ende Oktober war das Wetter in Moskau wie in Württemberg im Winter geworden, und außerdem ging seit dem Morgen ein kalter Nieselregen. Er hätte sich natürlich in den Wettermantel hüllen können, aber er konnte doch schlecht als Kommandeur aussehen wie eine aufgeplusterte Krähe! Deshalb stand Cornelius wacker nur in der Uniform da und gab nur mit dem Fuß den Takt an: eins u-u-und eins u-u-und eins.
    Am Rande des Platzes drängten sich wie immer Schaulustige. Der kalte Regen machte den Moskowitern nichts aus. Wenn ein Russe vom Regen nass wurde, schüttelte er sich wie ein Hund und ging seines Weges.
    Cornelius hatte sich an die Schaulustigen gewöhnt. Meistens begaffte natürlich der Pöbel die exerzierenden Soldaten, aber es war auch keine Seltenheit, dass sie von irgendeinem Bojaren mit seinem Gesinde angestarrt wurden. Auch jetzt zeichnete sich eine Bojarenpelzmütze über der Menge ab. Auf einem arabischen Schimmel saß ein imposanter Mann: groß, hager und mit einem langen grauen Bart. Um ihn herum ein Dutzend Adlige, die zu Fuß unterwegs waren, und dann noch Kuriere, alle in den gleichen himbeerfarbenen Kaftanen. Sollen sie doch gucken, er hat nichts dagegen. In Moskau gibt es wenig Zerstreuungen, während hier, vor der Stadt, die Trommel geschlagen wird und die Soldaten in Reih und Glied marschieren. Von Dorn hatte probiert, die Soldaten zur Flöte marschieren zu lassen, aber da hatten sich die Nonnen aus dem Nowodewitschje-Kloster beschwert. Flöte geht nicht, das führt in Versuchung.
    Im Großen und Ganzen hatte sich Porutschik von Dorn mehr oder weniger an die Moskauer Zwangsarbeit gewöhnt. Dabei hatte der Dienst angefangen, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann.
    Das Umzugsgeld hatte er überhaupt nicht erhalten – weder das Silber noch die Zobelfelle noch das Tuch. All das hatte sich der Vizeminister Fedja Lykow unter den Nagel gerissen, nachdem er sich damit einverstanden erklärt hatte, keine Beschwerde wegen der erlittenen Schmach anzustrengen, und dabei hatte sich dieser Hund noch lange geziert, Oberst Liebenau hatte größte Mühe gehabt, ihn rumzukriegen.
    Solche Soldaten, wie er sie in der Kompanie hatte, waren Cornelius noch nie untergekommen, und es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, dass sich solche Mistkerle Soldaten schimpfen könnten. Dass sie dreckig und abgerissen waren, ging ja noch. Aber dass es in der ganzen Kompanie keine einzige funktionstüchtige Muskete gab, keinen einzigen gewetzten Säbel, keine Kugel und kein Pulver! Das waren ja vielleicht Musketiere!
    Schuld daran war natürlich der Kommandeur Hauptmann Owsej Tworogow. Nicht nur, dass er jeden Tag schon morgens betrunken war und herumschnauzte, überdies war er ein Dieb von seltener Unverschämtheit. Die ganze Ausrüstung und Munition hatte er verkauft; statt sie dienen zu lassen, vermietete er die Soldaten als Arbeiter für einen Tagelohn, und das Geld steckte er sich in die Tasche. Owsej versuchte, auch den neuen Porutschik vor seinen Karren zu spannen: Er sollte die Vorratskammern der Kaufleute in der Sretenskaja-Vorstadt bewachen; aber da war er an den Falschen geraten.
    Cornelius ging sogar zum Oberst und beschwerte sich, nur was brachte das? Liebenau von Lilienklau war ein nicht mehr junger Mann; er war des russischen Lebens müde und dem Dienst gegenüber gleichgültig. Er gab dem Porutschik den Rat: Laissez-faire, mein Freund, far niente, oder auf gut Russisch gesagt: Spuckt im hohen Bogen drauf und zerreibt’s! Die Moskowiter haben Euch übers Ohr gehauen, Ihr könnt nur das Gleiche tun. Ihr seid noch jung, kein alter Knochen wie ich. Wenn es zu einem Krieg mit den Polen oder auch nur den Türken kommt,

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