Die Bibliothek des Zaren
das! Der Primus unter den russischen Ministern, zudem Kanzler, wichtigster Zarenberater und Oberbefehlshaber aller Moskauer Armeen: Artamon Sergejewitsch Matfejew!
Wenn er das gewusst hätte, hätte er sich bestimmt verneigt, davon hätte er sich nicht das Genick gebrochen. Und auch auf der Trommel hätte er nicht so frech mit übereinander geschlagenen Beinen sitzen und dann auch noch Pfeife rauchen dürfen.
Wie bei einer Parade ausschreitend, näherte er sich dem großen Mann, stellte sich kerzengerade hin und riss sich den Federhut vom Kopf. Dann hob er dienstbeflissen den Blick, wie es sich gehörte. Das Moskauer Reglement sah es nicht vor, dass man dem Vorgesetzten seinen Namen nannte und rapportierte. Antworte gefälligst nur, wenn du gefragt wirst.
»Du kommandierst geschickt, Hauptmann«, sagte der Kanzler und blickte von Dorn mit seinen kalten blauen Augen an. »Eine solche Fertigkeit sehe ich zum ersten Mal. Wer bist du? Zu welchem Regiment gehörst du?«
»Porutschik Kornejka Fondorn der dritten Musketier-Kompanie des Regiments von Christian Liebenow!«, schmetterte Cornelius, ohne ins Stottern zu kommen und fast ohne Akzent.
»Bist du Deutscher?«, fragte der Bojar und stellte sofort, ohne die Antwort abzuwarten, einige weitere Fragen, so dass man merkte, er war ein Mann, der schnell begriff und ungeduldig war. »Wie viele Jahre, wie bist du nach Russland gekommen? Oder gehörst du zu den ›alten Deutschen‹? Wo ist der Kompaniehauptmann? Warum hast du auf der Trommel gesessen, als die Kompanie feuerte?«
Von Dorn berichtete der Reihe nach und bemühte sich dabei, so wenig Fehler wie möglich zu machen.
»Genau, ich bin Deutscher. Ich bin vor ein halbes Jahr gekommen.« (Der Bojar zuckte verwundert mit den Brauen). »Hauptmann Tworogow ist krank. Auf der Trommel hab ich mit Absicht gesessen. Als ob ein türkischer Kugel den Kommandeur niedergestreckt hätte; aber macht nichts, die Schlacht geht weiter. Wenn man so schießt, kommt die Kompanie bestens ganz ohne ein Kommandeur aus.«
»Wer ist dieser Tworogow?«, fragte Matfejew den Mohren.
Der Schwarze sagte ungezwungen, ruhig, wie zu einem Gleichgestellten:
»Owsejka Tworogow, aus einer Bojarenfamilie. Er selbst kann den Soldaten nichts beibringen, er ist ständig betrunken. Man müsste den Säufer fortjagen, aber er ist das Patenkind von Fürst Iwan Chowanski. Ich habe ja gesagt, Bojar, es lohnt sich, wenn Ihr Euch diese Übung anseht. Und diesen Porutschik ebenfalls. Wer taugte besser an Dmitris Stelle?«
Cornelius schaute verstohlen auf diesen wunderlichen Mohren. Er wusste einfach alles, sogar, dass Owsej trinkt.
Der Minister und Kanzler musterte von Dorn aufmerksam und überlegte dabei etwas. Was von dieser Prüfung zu erwarten war, war unklar, aber eine Ahnung verriet dem Porutschik, dass sich just in dieser Minute sein Schicksal entschied, und dieser Gedanke ließ Cornelius die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht anfingen zu klappern.
»Na gut, Iwan.« Matfejew strich sich über die Augenlider (der Bojar hatte dürre, weiße, beringte Finger). »Ich verlasse mich auf dich. Erklär dem Hauptmann alles. Ich muss in den Facettenpalast zur Dumasitzung.«
Er wendete sein Vollblutpferd und trabte schnell in Richtung Stadttor. Die Adeligen des Gefolges schwangen sich schleunigst in den Sattel, und die Kuriere in ihrer Einheitskleidung trieben die Pferde zur Eile an. Neben Cornelius blieb nur der Mohr Iwan zurück. Der musterte ihn ebenfalls, sogar noch gründlicher als der Minister. Der Schwarze hatte große runde Augen mit roten Äderchen auf der weißen Augenhaut.
Von Dorn stellte sich etwas lockerer hin – schließlich stand er ja nicht vor dem Kanzler –, seinen Hut setzte er aber vorläufig noch nicht auf.
Um nicht zu schweigen, sagte er:
»Ich bin kein Hauptmann, sondern Porutschik, das muss der Bojar verwechselt haben.«
»Artamon Sergejewitsch verwechselt nie etwas«, sagte Iwan langsam und nicht laut. »Er behält jede Kleinigkeit, erinnert sich an alles und redet nicht um den heißen Brei herum. Wenn er ›Hauptmann‹ gesagt hat, Kornej, dann bist du eben jetzt Hauptmann. Und nicht einfach irgendein Hauptmann, sondern der Befehlshaber von Matfejews Musketier-Kompanie.«
Von Dorn hatte natürlich von dieser Kompanie gehört. Es handelte sich um die Leibgarde des Zaren, die vom Kanzler unterhalten wurde. Ein einfacher Musketier bekommt da einen höheren Sold als ein gewöhnlicher Regiments-Porutschik, man lebt dort
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