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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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seines feinen, rassigen, im Profil ein wenig raubvogelartigen Gesichtes könnte sich jede Königin in den Fürsten verlieben. Wenn Galizki den Lockenkopf zurückwarf, um Saschenka anzusehen, und siegesgewiss mit den Brauen zuckte, kribbelte es von Dorn in den Backenknochen. Und wenn das Gesicht des Fräuleins sich rötete und sie die klaren Augen niederschlug, ging Cornelius vor die Tür und reagierte sich ab, indem er sich vorstellte, er trüge mit dem Fürsten einen Fechtkampf aus, stoße ihm den spanischen Stahl bis zum Heft in den Bauch, und die schönen blauen Augen träten dem Glückspilz vor letzter Verwunderung aus den Höhlen.
    Warum ist die Welt nur so ungerecht eingerichtet?
    ***
    Der gleichmäßige Ablauf seines Dienstes und Lebens endete für Hauptmann von Dorn in der Nacht auf den ersten Januar Anno Domini 1676, nach russischer Zeitrechnung im Jahre 5184. Bei Artamon Sergejewitsch feierte man das Neujahrsfest nach europäischer Sitte und nicht am ersten September, wie es in Moskowien Usus war. Gäste waren versammelt – größtenteils die gleichen wie immer, aus dem auserwählten Kreis von Matfejew, und zusätzlich einige neue.
    Von den üblichen Gästen waren da: Fürst Galizki, provozierend schön in seiner weißgoldenen polnischen Kontusche; der Cornelius noch aus der Vorstadt bekannte Pastor Gregori, der Begründer des Zarentheaters, der aufgrund seiner kranken Leber ganz gelb war; der lächelnde, einem satten Kater gleichende Kammerherr Lichatschow; der Strelitzengeneral Fürst Dolgoruki, ein Kampfgefährte von Artamon Sergejewitsch; ein gelehrter Kroate mit einem unaussprechlichen Namen, der nur aus »sch« und »tsch« bestand, und noch ein paar Personen.
    Der wichtigste Gast des Abends war Seine Eminenz Taissi, der Metropolit von Antiochia. Dieser hoch gelehrte Grieche, in der Vergangenheit Doktor der Theologie zu Padua und katholischer Vikar, war zur Orthodoxie übergetreten und hatte es zu den höchsten kirchlichen Rängen gebracht. Alle wussten, dass der Zar ihn schätzte und in geistlichen Angelegenheiten eher auf ihn hörte, als das früher bei dem gestürzten Patriarchen Nikon der Fall war.
    Cornelius hatte den Metropoliten häufig bei Hof gesehen, und auch bei Matfejew war er nicht zum ersten Mal. Nur im Zarenpalast wirkte Taissi erhaben und prächtig in seinem goldenen Ornat, mit der Mitra, die mit Perlmutt und Diamanten besetzt war, und dem Hirtenstab, während er bei Artamon Sergejewitsch einfach gekleidet erschien, nämlich in weichem Wollrock, offen war und lächelte. Man konnte mit ihm über alles reden, sogar über Politik und die heidnischen Götter der Antike, aber am meisten lebte Taissi auf, wenn die Rede auf Bücher kam. In seine braunen Augen trat dann ein leidenschaftliches Leuchten, seine Hände zupften automatisch an dem seidigen grauen Bart, und auf seine Wangen trat eine feine Altersröte.
    Aber Cornelius hatte mit Seiner Eminenz eine Unterredung gehabt, nach der dem Hauptmann Zweifel gekommen waren, ob Taissi wirklich so bescheiden und heilig war. Der Metropolit war im Zarenpalast an von Dorn herangetreten, als der gerade die Wachposten kontrollierte, hatte ihn freundlich begrüßt und ein Gespräch darüber angefangen, welchen Glaubens er sei und wie er ohne Beichte und Kommunion klarkäme. Als Cornelius antwortete, er käme damit schlecht klar und müsse sich mit dem Gebet begnügen, schaute Taissi sich um und sagte im Flüsterton:
    »Ein Christ kann nicht ohne Beichte leben, das ist eine Sünde. Komm doch zu mir zur Beichte, mein Sohn. Ich bin zwar zur Orthodoxie übergetreten, habe mich aber vom katholischen Glauben nicht losgesagt – es gibt ja nur einen Erlöser, ob du nun auf Lateinisch oder auf Slawisch zu ihm betest. Auch der Heilige Stuhl hat mich nicht von Mutter Ecclesia getrennt und mir die priesterlichen Weihen nicht entzogen. Ich kann die Beichte abnehmen und die Absolution erteilen. Kommst du?«
    Die Versuchung, seine Seele zu erleichtern, war groß, doch kamen ihm auch Zweifel. Wie kann das sein, wie soll einer Katholik und Orthodoxer zugleich sein können? Von Dorn bedankte sich für die Einladung und versprach zu kommen. Er ging dann aber nicht hin, und obwohl sie sich danach etliche Male sahen, kam der Grieche nicht darauf zurück.
    Taissi wurde immer von einem vertrauten Diener begleitet, der einen schwarzen Bart trug, schweigsam war und ein fürchterlich knochiges Gesicht hatte. Er war wohl kein Russe, sondern ebenfalls Grieche oder stammte

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