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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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emporgehoben, ihn über drei mal neun Länder getragen und in einem fremden, wilden Wald abgesetzt haben. Solche feinen Fräulein hatte Cornelius in Hamburg, Amsterdam und Paris gesehen, in Moskau aber nicht zu treffen gehofft, weshalb ihm Alexandra Artamonowna zwei – oder dreimal so schön erschien.
    Entgegen dem einheimischen Brauch schminkte sie sich die Wangen nicht rot und zog die Augenbrauen nicht nach, doch trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) wirkte sie wunderbar frisch und anziehend. Einmal kam sie in einem französischen Kleid zu den Gästen, mit Korsage und hinreißenden bloßen Schultern – es verschlug den Männern die Sprache, ihnen fielen fast die Augen aus, und Cornelius, der gerade Pfeife rauchte, verschüttete vor Aufregung den ganzen Tabak.
    Später, in der Nacht, ging er lange in seinem Zimmer auf und ab und ließ, um sich zu trösten, seine früheren Eroberungen Revue passieren. Saschenka war für den Hauptmann von Dorn so wenig erreichbar wie ein strahlender Stern am Himmel. Schon daran zu denken, war schrecklich.
    Trotzdem startete Cornelius am nächsten Morgen, als er darauf wartete, dass Artamon Sergejewitsch aus seinem Arbeitszimmer kam (der Bojar verfasste ein Memorandum an den ukrainischen Hetman und würde länger brauchen), einen Seitenangriff: nicht mit einem bestimmten Ziel, doch es schien ihm einfach unerträglich, dass ihn Saschenka überhaupt nicht beachtete, ihn wie Luft behandelte, und sogar wenn ihr Blick zufällig auf ihn fiel und sie lächelte, so geschah das zerstreut, ohne Sinn, wie beim Anblick eines Hofköters, der mit dem Schwanz gewedelt hat.
    Er saß im Hauptempfangssaal, wo alle Gänge zusammenliefen und das Fräulein früher oder später unbedingt auftauchen musste – sei es auf dem Weg von der Stube zum Hof, zu ihrer Mutter, in die Bibliothek oder sonst wohin.
    Der Hauptmann legte seinen besten Spitzenkragen an, steckte sich einen goldenen Ring ins Ohrläppchen, kämmte die schwarze Perücke eigenhändig, so dass sie in zwei prächtigen Wellen über die Schulter fiel. Auf dem Stuhl neben ihm lag der Hut mit zwei Straußenfedern, einer schwarzen und einer weißen. Darunter war der unendlich wertvolle Wecker versteckt.
    Cornelius hatte am Vorabend überprüft, ob der Mechanismus funktionierte. Das tat er, Gott sei Dank, die Hamburger Meister verstanden ihr Handwerk. Die im Innern versteckten Glöckchen stimmten im rechten Augenblick silbrig hell das fröhliche Lied »Grüß dich, neuer Gottestag« an, damit man in guter Gemütsverfassung und mit einem Lächeln auf den Lippen aufwachte.
    Endlich kam sie. Das typische Glück der von Dorns wollte es, dass Alexandra Artamonowna allein war. Sie hatte eine kleine Schiefertafel in der Hand und einen Abakus mit Kügelchen, wie ihn die Kaufleute zum Rechnen benutzten; offenbar war sie auf dem Weg zu Andrej Artamonowitsch, um mit dem Bruder zusammen Arithmetik zu lernen (wozu brauchte ein so hochgeborenes Fräulein nur diese niedere Wissenschaft?)
    Cornelius tat, als habe er sie nicht gesehen, drückte, ohne sich umzudrehen, unter dem Hut auf den Hebel, zog sofort wieder die Hand zurück und legte sie auf den Schoß. So saß er also da und beobachtete Saschenka heimlich im Spiegel.
    Die ging, wobei ihre Absätze auf dem Eichenparkett klapperten, und blieb auf einmal wie gebannt stehen: von irgendwoher kamen zauberhaft perlende Töne, gedämpft wie aus dem Erdinneren oder umgekehrt wie aus überirdischen Sphären. Von Dorn aber saß da und hörte scheinbar nichts, spreizte nur den kleinen Finger jener Hand ein wenig ab, mit der er den Degengriff hielt, damit der Lichtstrahl auch den Ring zum Blitzen brächte.
    »Hauptmann . . . Wie heißt du noch . . . Kornej!«, rief Saschenka ihn flüsternd.
    Jetzt sprang Cornelius natürlich auf, drehte sich um, verbeugte sich respektvoll, so dass er mit der Perücke fast den Boden berührte.
    »Ja, Eure Leuchte.« (So stellte er sich die russische Variante von Durchlaucht vor.)
    »Hörst du?« Das Fräulein hob ängstlich den rosigen Finger, und ihre Wimpern bebten nur so. »Hörst du?«
    Von Dorn runzelte die Stirn, als ob er angestrengt die Ohren spitzte. Er hob ratlos die Hände.
    »Das Pferd, das da schreit? Das ist Sjulejka, die braune Stute von Iwan Artamonowitsch. Sie kriegt ein Kind.«
    »Das ist doch keine Stute!«, wehrte Saschenka ärgerlich ab. »Hör mal. Das ist eine Musik wie aus dem Paradies.«
    Der Blick, den sie Cornelius zuwarf, war gleichzeitig erschreckt und

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