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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Radverschluss.
    Ein Mann in Schwarz drehte sich um, sein Gesicht schimmerte weiß. Cornelius feuerte, und der Räuber fiel auf den Rücken.
    Er zog den Degen und warf sich auf die zweite Gestalt, während er dem Arzt auf Deutsch zurief:
    »Herr Walser, Vorsicht!«
    Der brachte sich schnell auf allen vieren in Sicherheit. Der Räuber in einem langen schwarzen Gewand (tatsächlich, eine Kutte, er hatte sich als Mönch verkleidet) zog einen geraden, breiten Stutzsäbel, aber wie sollte der Tollpatsch gegen die beste Klinge des früheren Württemberger Regiments ankommen? Mit dem ersten Ausfall durchbohrte von Dorn den Schuft.
    Aber es waren nicht zwei, sondern drei Banditen. Der Dritte, ein langer Kerl mit einer spitz zulaufenden Kappe, hatte die Hände in die Ärmel gesteckt, stand ein wenig abseits und rührte sich nicht. Er hatte offenbar Angst bekommen. Sein Gesicht sah man nicht, nur seine Silhouette, denn der Mond schien dem Dieb in den Rücken.
    »Geh in die Knie, du Hurensohn«, forderte Cornelius mit schrecklicher Stimme, während er den blutverschmierten Degen schwang. »Ich bringe dich um wie einen Hund!«
    Der Lange befreite die Hand aus dem Ärmel und hob sie blitzend, da schlug dem Hauptmann etwas hell tönend gegen die Brust: Das Wurfmesser hatte den Pelz durchschlagen und klirrte gegen den Kürass.
    »So einer bist du also. Dann hast du keine Gnade zu erwarten.«
    Cornelius holte zum Schlag aus und stürzte sich auf den Räuber. Der stand noch genauso unbeweglich da, als sei er am Boden festgefroren.
    Mit einem Pfeifen durchschnitt die Klinge die Luft, spaltete aber nicht den Kopf des Räubers. Dieser fing nämlich mit einer blitzartigen Bewegung den Stahl mit seinem Lederhandschuh ab, entriss dem Hauptmann wie im Spaß seinen Degen und brach ihn mit Leichtigkeit wie einen Span entzwei.
    Verblüfft wich von Dorn einen Schritt zurück und holte seinen Dolch aus dem Stiefelschaft. Er hatte das unheimliche, sichere Gefühl, all das schon einmal in einem Albtraum gesehen zu haben: wie er den Feind mit dem Degen schlägt, aber der Degen zerbricht; wie er mit dem Dolch zusticht, aber der sich verbiegt, als sei er aus Wachs.
    Ein schrecklicher, unschlagbarer Mann packte Cornelius beim Handgelenk und renkte es aus, dass die Knochen knirschten, während er mit der anderen Hand dem Musketier kurz und kräftig eins ins Gesicht gab.
    Von Dorn fiel rücklings nieder. Straße, Himmel und Häuser kamen ins Kreisen und flogen kopfüber in die Höhe. Cornelius drehte sich auf die Seite und spuckte zwei Vorderzähne mit Blut in den Schnee. Aber er hatte keine Zeit und keinen Grund, sich über seine ruinierte Schönheit Gedanken zu machen: Der Erdenweg des Hauptmanns der Musketiere näherte sich seinem Ende.
    Der Räuber bückte sich, hob den heruntergefallenen Dolch auf, trat dem betäubten Cornelius auf den Brustkorb und drückte ihn zu Boden. Auf einem Stückchen Stahl sammelte sich das Mondlicht und glänzte fahl. Von Dorn hatte noch nie im Leben etwas Schöneres gesehen als dieses blitzende Wetterleuchten.
    Herrgott, erbarme dich der Seele deines Knechtes Cornelius, des Sohnes von Theodor und Ulrike.

NEUNTES KAPITEL
    Hast du’s nicht gesehen,
entfloh er der Großmutter,
hast du’s nicht gesehen,
entfloh er dem Großvater
    Es dauerte nicht mehr als eine Minute, den Computer anzuschalten und die Datei vondorn.tif zu öffnen. Da war es: das aus den zwei Hälften zusammengesetzte eingescannte Testament des Hauptmanns Cornelius von Dorn. Vorausgesetzt, das Schreiben an den Sohn Nikita war ein Testament.
    Die Schrift des Hauptmanns war selbst nach den Gepflogenheiten des siebzehnten Jahrhunderts nicht gerade leserlich. Nicholas kniff die Augen zusammen und las langsam Silbe für Silbe: »Die-ses Ver-mächt-nis ist für mei-nen Sohn Ni-ki-ta so sel-bi-ger Ver-stand an-ge-nom-men mich der Herr da-ge-gen ab-be-ru-fen und mir den Weg nach Mos-kau nicht ge-weiset und im fall du mit der Ver-nunft nicht schaf – fest es zufin-den so ist dies Got-tes Will auf dass die Versu-chung des Sa-tans dich nicht be-zwin-ge. . .«
    »Wie, was?«, unterbrach Altyn. »Hör mal, ich raff das nicht. Kannst du das mal in normales Russisch übersetzen? ›Selbiger, nicht geweiset.‹ So ein Humbug.«
    »Gleich«, sagte Fandorin. »Aber erst muss ich die Handschrift entschlüsseln.« Er ging in das Programm »Scribemaster« und erklärte nebenbei, dies sei ein neues Programm, das eigens für Spezialisten, die sich mit der Entzifferung alter

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