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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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zumindest aus dem Mittelmeerraum. Er hieß Joseph. Man sagte von ihm, er sei von inbrünstigem Glauben, trage unter der Kutte eiserne Ketten und kasteie sich auf jegliche Weise; um sich von seinen quälenden Versuchungen zu befreien, bearbeite er nachts seine Zähne mit einer Feile und könne sich nur durch solch unmögliches Leiden zügeln. Cornelius hatte keine Ketten gesehen, aber die scharfen, fast dreieckigen Zähne waren ihm aufgefallen und hatten ihn mit Ehrfurcht erfüllt. Es war nicht zu übersehen, dass Joseph wirklich ein heiliger Mann war.
    An neuen Gästen gab es zwei. Den einen, den gelehrten Arzt und Pharmazeuten Adam Walser, hatte der Beamte Golossow, der dem Bojaren im Apotheken-Amt half, mitgebracht. Herr Walser gefiel Cornelius – ruhig, grauhaarig, mit einem sanften Lächeln und gütigen blauen Augen, die hinter der großen Zinkbrille neugierig auf die Welt blickten. Im Flur warteten zwei bärenstarke Diener mit schlagkräftigen Prügeln und Glimmerlaternen an langen Stöcken auf den Apotheker. Aus dieser Vorsichtsmaßnahme konnte man schließen, dass Walser kein Neuling in Moskowien war und es verstand, sich nachts zu schützen. Wer alleine aus dem Haus ging, wenn es dunkel war, und kein Licht dabeihatte, der kam in dieser Diebesstadt nicht weit, entweder Räuber fielen über ihn her, oder die Nachtwächter konnten, wenn sie einen einsamen Mann sahen, der Versuchung nicht widerstehen. Golossow und Walser waren früher als die anderen gekommen. Der Apotheker genierte sich in dem geräumigen Speisezimmer, bat schüchtern um die Erlaubnis, die Bibliothek des Hausherren besichtigen zu dürfen, und ließ sich lange nicht mehr blicken.
    Dafür zog der zweite neue Gast, ein Beamter aus dem Außenministerium namens Afanassi Lebedew, der gerade aus Europa zurückgekehrt war, sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich – er erzählte die neuesten französischen Nachrichten über König Louis und seine Mätressen. Wie sich herausstellte, ereiferte sich die ganze aufgeklärte Welt derzeit über eine große Neuigkeit: die Position der schönen Marquise Montespan war ins Wanken geraten. Das Pikanteste war, dass nicht eine junge Schönheit der strahlenden Favoritin das Herz Seiner Majestät abspenstig gemacht hatte, sondern eine ältere Erzieherin der Bastarde, welche die Marquise mit dem Sonnenkönig in die Welt gesetzt hatte. Diese besagte Madame Maintenon war, wie der Beamte erzählte, äußerst fromm und bescheiden, war vierzig Jahre alt und hatte den Monarchen von Versailles nicht durch ihre üppigen Reize, sondern aufgrund ihres Verstandes und ihrer hohen Sittlichkeit für sich eingenommen.
    »Das bedeutet, dass König Louis sich in seinen Bettschlachten ganz aufgerieben hat und nun von seinen Frauen nicht Leidenschaftlichkeit, sondern nur Ruhe wünscht«, sagte Fürst Wassili Wassiljewitsch fröhlich. »Er ist wie ein Hahn, der die Hennen nicht besteigt, sondern nur kräht. Für einen solchen Kapaun gibt es nur eins: ab in die Suppe.«
    Das war nicht nur geistreich gesagt, sondern auch politisch gescheit; es gab unter den Gästen keine Anhänger der Franzosen, und sie nahmen den Scherz mit freundlichem Lachen auf. Dann redeten alle durcheinander, während von Dorn sich noch lange darüber grämte, dass Saschenka über die Obszönität des Fürsten gelächelt hatte. Es gab nur einen Trost: Wie die meisten Moskowiter hatte Galizki schlechte Zähne, und wenn er lachte, sah man, dass sie gelb und krumm waren. Als der Hauptmann einen Blick von Alexandra Artamonowna auffing, lächelte er breit: Sollte sie doch vergleichen und sich ein Urteil bilden. Das Fräulein lächelte ebenfalls. Ob sie sich ein Urteil über die Weiße und Ebenförmigkeit seiner Zähne gebildet hatte, war unklar.
    Als die Diener beim Heraustragen des Essgeschirrs mit dem Silber klapperten, kam Adam Walser aus der Bibliothek. Er zog mit der Nase den Duft von Gebäck, würzigem Fleisch, geräuchertem Weißlachs ein und verzog auf einmal abrupt das Gesicht. Die Augen von Herrn Walser zuckten schreckhaft, und seine rosigen Wangen wurden bleich. Cornelius wunderte sich über diese Metamorphose und verfolgte den Blick des Apothekers. Es stellte sich heraus, dass Walser den Metropoliten von Antiochia ansah und der Grieche den stillen Mann ebenfalls fixierte, und zwar mit offensichtlichem Missfallen.
    Taissi wandte sich im Übrigen sofort von dem Arzt ab und winkte Cornelius zu sich. Als der sich mit einer respektvollen Verbeugung näherte,

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