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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Handschriften beschäftigen, entwickelt worden sei. Die Datenbank dieses wunderbaren Programms enthalte bis zu dreitausend Varianten für die Schreibweise lateinischer, griechischer, hebräischer und kyrillischer Buchstaben, die von Scribemaster gelesen und in jede beliebige moderne Schrift umgewandelt werden könnten.
    Aus einer langen Liste wählte Nicholas das Schriftbild Skoropis 17th cent, und bei der Option transform to entschied er sich für die Schrift »Ishiza«, die, obschon schwer zu lesen, als Einzige in Frage kam, weil sie Buchstaben hat, die in der modernen russischen Orthografie fehlen. Die Zeichen über den Zeilen würden wegfallen, aber das war kein Beinbruch, man würde den Text trotzdem lesen können.
    Altyn verfolgte neugierig die einzelnen Arbeitsschritte des Magisters, atmete ihm dabei direkt ins Ohr und kitzelte ihn mit ihren kurz geschorenen Haaren bisweilen an der Schläfe. Das Mädchen roch nach Morgen, Schlaf und Frische. Er musste sich zusammennehmen, um sich nicht ablenken zu lassen.
    »Gut, los geht’s!« Er bekreuzigte sich und drückte auf enter.
    Die Handschrift verschwand vom Monitor, Stattdessen erschien ein Bild: eine altmodische Uhr, deren Zeiger langsam die Sekunden zählte. Als die zweite Minute zu Ende ging, zuckte das Bild, und statt des unleserlichen Gekritzels erschien ein normal gedruckter Text. Nicholas und Altyn machten unwillkürlich einen Ruck nach vorn, ohne zu merken, dass sie sich mit den Wangen aneinander schmiegten, und starrten auf den Bildschirm.

Dieses vermächtnisz ist fuer
meinen son Nikita so
selbiger verstand angenomm
en mich der herr dagegen
abberufen vnd mir den weg
nach Moskau nicht geweyset
vnd im fall du mit
der Vernunft nicht schaffest
es zu finden so ist dies
gottes will auf dasz die
Versuchung des satans dich
nicht bezwinge im fall du es aber
findest nimm vm Christi
willen nur die Liberey die vnten
im Altyn-Tolobas den
Samoley vnter dem baste aber
nimm nicht so dir deyn seel
enheyl lieb
Vnd vom skorodom vom
steynernen thor geh 230 sashen
durch die schwarze slo
boda wie vom fels theo unseres
ahnen zum fursten
hof vnd an selbigem ort wirst
du ein holzhauß sehen
mit fenstern soviel unser ahn
hugo silnyj toechter hat vnd
so das gebaeude dem fewer zum
Opfer gefallen fuerchte dich
nicht das grundwerck des hauses
ist vornehm
 
Vnd so du das grundwerck be
trittst wende dich gen nord
wende dich gen osten in den
eck in dem eck ist eine schmale
steyntafel schiebe die tafel bey
seyte vnd unter dieser tafel ist eine
eysenkette mit einem ring
daran ziehe Von da kommst du zu
dem vorsteck mit irdenem
boden vnd bevor du hinabsteygest
bete zu gott unserem herren
doch die todten beyne fürchte
nicht vnd stelle um unseres
herren Christi willen deyne neu-
gier nicht auf die probe und
nimm keynesfalls den Samoley
erzürne meinen veterlichen
willen nicht auf dasz weder du
selbst noch das menschen
geschlecht schaden neme
Verwirf das buch vnd . . .
so findest du Iwans Liberey
 
 
Christos segne dich
 
Geschrieben in Infernograd
 
Anno 190 im May am 3. Tag
 
vnterzeychnet von
 
Kornej Fondorn
 

    »Trotzdem ist das dummes Zeug!«, rief die Journalistin missmutig. »Man versteht nicht die Bohne.«
    Aber der Magister winkte nur unhöflich ab, während er mit dem Blick über die Zeilen glitt. Er hatte den Text durchgelesen, ratlos den Kopf geschüttelt und las ihn jetzt noch einmal.
    »Liberey? Die Liberey Iwans des Schrecklichen?«, murmelte er. »Das kann doch nicht wahr sein. Quatsch! Unsinn!«
    Altyn schaute ihn verständnislos an.
    »Vielleicht ist mit Liberey Liberia gemeint, das Land in Afrika?«
    Fandorin starrte wieder auf den Bildschirm und bewegte dabei die Lippen.
    Da versetzte ihm die Journalistin mit ihrer spitzen Faust einen wütenden Schlag in die Seite (Nicholas schrie überrascht auf).
    »Übersetz doch endlich mal, du Mistkerl! Ich gehe doch vor Ungeduld ein wie eine Primel!«
    Und er übersetzte, und wo es notwendig war, gab er Erläuterungen.
    »Geschrieben für meinen Sohn Nikita, wenn er Vernunft angenommen haben wird, ich aber nicht mehr sein werde, falls der Herr mich nicht nach Moskau zurückkehren lässt. Und wenn du es nicht verstehst oder das Gesuchte nicht finden kannst, dann ist es Gottes Wille, dass du der Versuchung des Teufels entrinnst. Wenn du es aber findest ›so nimm um Christi willen nur die Liberey, die unten im Altyn-Tolobas ist. – Ich weiß nicht, was das ist. – Den Samoley, der mit Bast zugedeckt ist, rühre nicht an,

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