Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
Handfläche.
Ich erhob mich vom Bett und glitt auf den Boden, lehnte meinen Rücken gegen das Bett. Ein klein wenig näher. Augusta tat so, als ob sie darauf warten würde, dass ich den Arm ausstrecken und den Spiegel nehmen würde. Ich musste mich gewissermaßen auf meine Hände setzen. Schließlich hob Augusta den Spiegel und sah selbst hinein. Lichtkreise hüpften auf der Wand hinter ihr auf und ab. »Wenn du hier hineinsiehst, blickst du in das Gesicht deiner Mutter«, sagte sie.
Niemals werde ich in diesen Spiegel sehen, dachte ich.
Augusta legte ihn auf das Bett, griff wieder in die Hutschachtel und wickelte eine Haarbürste mit einem hölzernen Griff aus und hielt sie mir hin. Ehe ich überhaupt denken konnte, hatte ich sie schon in der Hand. Der Griff fühlte sich komisch an, er war kühl, abgenutzt. Ich fragte mich, ob sie ihr Haar mit hundert Bürstenstrichen am Tag gepflegt hatte.
Als ich die Bürste Augusta gerade zurückgeben wollte, sah ich ein langes schwarzes, gewelltes Haar, das in den Borsten verwoben war. Ich hielt mir die Bürste ganz nah vor das Gesicht und starrte es an, ein Haar meiner Mutter, ein Teil ihres Körpers.
»Na so was«, sagte Augusta.
Ich konnte meine Augen nicht davon lösen. Es war auf ihrem Kopf gewachsen. In dem Augenblick wusste ich, ganz gleich, wie sehr ich es auch versuchen würde, wie viele Honiggläser ich auch zerschlagen würde, wie sehr ich auch davon überzeugt war, ich könnte das mit meiner Mutter hinter mir lassen, ich würde sie niemals aus meinem Herzen verbannen können. Ich drückte den Rücken gegen mein Bett und spürte, wie mir die Tränen kamen. Die Bürste und das Haar von Deborah Fontanel Owens verschwammen vor meinen Augen.
Ich gab die Bürste Augusta zurück, die mir ein Schmuckstück in die Hand legte. Eine goldene Brosche, die geformt war wie ein Wal, er hatte ein winziges schwarzes Auge und blies eine kleine Wasserfontäne aus Quarzstein aus seinem Atemloch.
»Sie hat diese Brosche an dem Tag getragen, als sie hier ankam«, sagte Augusta.
Ich schloss meine Finger darum, dann rutschte ich auf den Knien hinüber zu Rosaleens Bett und legte die Brosche neben den Taschenspiegel und die Bürste und schob alles hin und her, hin und her.
Ich hatte meine Weihnachtsgeschenke immer so ausgebreitet. Es waren meistens ganze vier Sachen, die T. Ray von der Verkäuferin im Warenhaus von Sylvan für mich hatte aussuchen lassen - Pullover, Socken, Schlafanzug, ein Beutel Apfelsinen. Frohe Weihnachten. Auf diese Liste hätte man sein Leben verwetten können. Ich legte mir die Sachen immer in verschiedenen Anordnungen aus, in einer senkrechten Linie, einem Viereck, einer Schrägen, in allen möglichen Mustern, in denen ich vielleicht doch irgendwo das Bild von Liebe entdecken könnte.
Als ich wieder zu Augusta hoch sah, zog sie ein schwarzes Buch aus der Schachtel. »Das hab ich deiner Mutter gegeben, als sie hier war. Gedichte und Balladen.«
Ich nahm das Buch in die Hand und blätterte durch die Seiten, ich bemerkte einige Bleistiftzeichen an den Rändern, keine Worte, sondern merkwürdige, kleine Figürchen, spiralige Tornados, ein Schwarm Vs, Schnörkel mit Augen, Töpfe mit Gesichtern, Töpfe, aus denen kringelige Sachen herauskochten, kleine Pfützen, die plötzlich zu riesigen Wellen anwuchsen. Ich blickte auf die geheimen Leiden meiner Mutter, und am liebsten wäre ich nach draußen gegangen und hätte das Buch in der Erde vergraben.
Seite zweiundvierzig. Da stieß ich auf acht Verse von William Blake, die sie unterstrichen hatte, manche Worte sogar doppelt.
Oh Rose, du krankst!
Der tückische Wurm,
Der fliegt in der Nacht,
Im heulenden Sturm,
Fand aus dein Bett
Voll rosiger Lust,
Seine düstere Liebe
Zernagt dir die Brust.
Ich schlug das Buch zu. Ich wollte, dass die Worte von mir abglitten, aber sie hatten sich schon festgesetzt. Meine Mutter war die Rose. Ich hätte ihr für mein Leben gern gesagt, wie Leid es mir tat, dass ich einer dieser tückischen Würmer war, die in der Nacht flogen.
Ich legte das Buch zurück auf das Bett zu den anderen Sachen, dann drehte ich mich zu Augusta, die wieder in die Schachtel griff und das Papier zum Flüstern brachte. »Noch eines«, sagte sie und zog einen kleinen ovalen Bilderrahmen aus angelaufenem Silber heraus.
Als sie ihn mir reichte, hielt sie ganz kurz meine Hand. Der Rahmen enthielt das Bild einer Frau im Profil, ihr Kopf war einem kleinen Mädchen zugewandt, das in einem Kinderstuhl saß
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