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Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees

Titel: Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Monk Kidd
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Totenwache. Es ist oft schwer, einen Tod zu begreifen, und eine Totenwache hilft uns dabei, uns von den Toten zu verabschieden.«
    Wenn ein Toter mitten im Wohnzimmer ist, fällt es sicher leichter, alles zu begreifen. Es war sehr merkwürdig, eine Tote im Haus zu haben, aber wenn es uns half, besser Abschied zu nehmen, nun, das sah ich ein.
    »Es hilft auch May«, sagte Augusta.
    »Es hilft auch May?«
    »Du weißt doch, dass wir alle eine Seele haben, Lily, und wenn wir sterben, geht sie direkt zu Gott, aber niemand weiß, wie lange das dauert. Vielleicht nur den Bruchteil einer Sekunde, vielleicht aber dauert es auch eine Woche oder sogar zwei. Jedenfalls, wenn wir hier bei May sitzen, sagen wir ihr damit: ›Es ist gut, May, das hier war dein Zuhause, aber du kannst jetzt gehen. Es ist alles in Ordnung.‹«
    Augusta ließ den Sarg, der auf einer Art Tisch mit Rollen stand, vor Unsere Liebe Frau der Ketten bringen und dort öffnen. Nachdem die Männer vom Beerdigungsinstitut weg waren, gingen Augusta und Rosaleen zum Sarg und sahen hinein auf May, aber ich blieb zurück. Ich ging herum und sah mich selbst in all den Spiegeln an, als June mit ihrem Cello herunterkam und zu spielen anfing. Sie spielte »O Susanna!«, und wir mussten alle lächeln. Ich trat zum Sarg und stellte mich zwischen Augusta und Rosaleen.
    May sah aus wie immer, nur dass ihre Haut sehr straff über ihren Gesichtsknochen lag. Das Lampenlicht, das in den Sarg schien, verlieh ihr einen sanften Schimmer. Sie trug ein Kleid in Königsblau, das ich noch niemals gesehen hatte, mit Perlknöpfen und einem herzförmigen Ausschnitt, und dazu ihren blauen Hut. Sie sah aus, als ob sie jeden Augenblick die Augen öffnen und uns angrinsen würde.
    Dies war also die Frau, die meiner Mutter alles beigebracht hatte, was man wissen musste, um Kakerlaken auf die nette Art loszuwerden. Ich zählte an meinen Fingern die Tage ab, die vergangen waren, seit mir May erzählt hatte, dass meine Mutter hier gewesen war. Sechs Tage. Es kam mir vor, als wären es sechs Monate. Ich wollte noch immer so unbedingt Augusta erzählen, was ich wusste. Ich hätte es wahrscheinlich auch Rosaleen erzählen können, aber eigentlich wollte ich es nur Augusta sagen. Sie war die Einzige, die mir erklären konnte, was das alles zu bedeuten hatte.
    Als ich dort am Sarg stand und zu Augusta aufsah, hatte ich den dringenden Wunsch, ihr alles jetzt und in diesem Moment zu erzählen. Einfach damit herauszuplatzen. Ich bin nicht Lily Williams, ich heiße Lily Owens, und die Frau, die hier gewohnt hat, war meine Mutter, May hat es mir gesagt. Und dann würde alles herauskommen. Was immer dann auch geschehen würde, würde geschehen. Als ich aber zu ihr hinauf blinzelte, sah ich, wie sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte und nach einem Taschentuch suchte. Es wäre selbstsüchtig, sie jetzt auch noch mit meinem Kummer zu beladen, wo sie doch fast zusammenbrach vor Trauer um May.
    June spielte mit geschlossenen Augen, als ob es allein von ihr abhinge, dass Mays Seele in den Himmel kam.
    Augusta und Rosaleen setzten sich schließlich hin, aber wo ich nun einmal am Sarg stand, konnte ich mich nicht losreißen. Mays Arme waren vor der Brust verkreuzt, wie zwei zusammengelegte Flügel, aber ich fand diese Haltung nicht schön für sie. Ich langte in den Sarg und nahm ihre Hand. Sie war wächsern und kalt, aber es machte mir nichts aus. Ich hoffe, du wirst im Himmel glücklicher sein als hier , sagte ich ihr. Und wenn du Maria siehst, Unsere Liebe Frau, sag ihr, wir wissen, dass Jesus zwar hier unten die Hauptperson ist, aber wir tun unser Bestes, die Erinnerung an sie wach zu halten. Irgendwie spürte ich genau, dass Mays Seele jedes einzelne Wort von mir verstand, obwohl ich nicht laut sprach.
    Und ich wünsche mir, du könntest nach meiner Mutter sehen, sagte ich. Erzähl ihr, dass wir uns begegnet sind und dass ich zumindest im Moment von T. Ray weg bin. Sag ihr: »Lily hätte so gerne ein Zeichen, etwas, was ihr zeigt, dass du sie liebst. Es muss nichts Großes sein, aber bitte schick ihr etwas.«
    Ich seufzte inbrünstig, hielt immer noch ihre Hand und dachte, wie groß ihre Finger waren. Nun, das ist dann jetzt unser Abschied, sagte ich ihr. Tränen fielen von meinen Wangen und tropften auf ihr Kleid.
    Bevor ich aber wegtrat, veränderte ich etwas. Ich faltete ihre Hände und legte sie unter ihr Kinn, sie sah jetzt aus, als ob sie ernsthaft über ihre Zukunft nachdenken

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