Die Bischöfin von Rom
schon nach kurzer Zeit wieder hoch; das quälende Rädern kehrte zurück – und dazu die panischen Anfälle von Todesangst, unter denen sie außerdem litt.
Jeder ungewohnte Laut ließ sie zusammenzucken; ständig mußte sie fürchten, daß die eisenbeschlagene Tür sich öffnete und der Henker hereinkam. Jedes Mal, wenn sie draußen die Schritte des Büttels vernahm, der jetzt, anders als früher, in unregelmäßigen Abständen auftauchte, begann ihr Herz zu jagen und brach ihr kalter Schweiß aus. War der schweigende Gefangenenwärter dann wieder verschwunden, brauchte sie lange, ehe sie mit zitternden Händen nach dem Brotkanten und dem Wasserkrug zu tasten vermochte.
Irgendwann, sie hatte inzwischen jegliches Zeitmaß verloren, wurde ihr Denken und mit ihm ihr Fühlen dumpfer. Wie betäubt hing sie nun stundenlang in ihren Ketten; manchmal während solcher halb agonischer Phasen weckte der durch den Felsspalt hereinwehende Luftzug etwas wie dunkle, irrationale Hoffnung in ihr. Strich der feuchtkalte Hauch über ihre Haut, so vermeinte sie in ihrem Dämmerzustand, eine Berührung des Daseins jenseits ihres Verlieses zu spüren. Eine Verbindung zur Außenwelt schien sich aufzubauen: eine flüchtige, unendlich zerbrechliche Brücke – doch immer nur solange, bis das Empfinden, nicht völlig verlassen zu sein, in Branwyns Bewußtsein drang. Kaum schoß ihr dies durch den Kopf, zersplitterte die Illusion; einmal mehr schweißgebadet, mußte die Gefangene sich sagen, daß keinerlei Aussicht auf Rettung bestand. Und der Schock über diese Erkenntnis löste dann womöglich eine weitere Reaktion aus; in solchen Augenblicken konnten Bilder auf sie einstürmen: Erinnerungen an die Ynys Vytrin, an die britannischen Landschaften, durch die sie mit dem Barden gezogen war, oder an Avalon.
Noch einmal durchlebte sie den Piratenüberfall auf die Gläserne Insel, ihre Flucht von dort, den Herbst und Winter in Eryri Gwyn. Sie sah Eolo Goch die Klamm zu ihrer Höhle heraufkommen und hörte ihn sein Frühlingslied singen. Seite an Seite wanderten sie nach Süden: monatelang, bis hinter den flutenden Nebeln die Ynys Avallach sichtbar wurde. Die Gesichter von Bendigeida, Dyara, Alba und den übrigen Druidinnen wurden ihr gegenwärtig, unter dem Dach der Flechtwerkkirche begegnete sie Saray und Danyell. In vollkommener Schönheit stand der Twr vor pastellblauem Morgenhimmel; im Schein der sinkenden Sonne umarmte sie Eolo und genoß im Sternenlicht die Zärtlichkeit des Mannes, den sie hätte lieben können, wenn nicht der Schmerz um Dafydd, ihren ermordeten Verlobten, gewesen wäre. Sie blickte dem Barden nach, wie er im Curragh über den See von Avalon entschwand; im folgenden Jahr stand sie selbst an der Reling eines Schiffes: des Seglers, der Kurs auf die gallischen Gestade nahm. Langsam versank die Küste Britanniens im Meer – stets war dies das letzte Bild, das sie wahrnahm; immer durchzuckte sie dann jäher Schmerz, und sie kam verstört zu sich.
In der Finsternis ihres Kerkers fand sie sich wieder; jedes Mal, wenn es geschah, glaubte sie zu zerbrechen. Eben noch war sie, zumindest im Geiste, frei gewesen; um so unerträglicher war jetzt die Erkenntnis, ihren sadistischen Feinden hilflos ausgeliefert zu sein. Oft war sie in solchen Augenblicken versucht, sich innerlich aufzugeben, sich seelisch ins Nichts und ins Ausgelöschtwerden fallen zu lassen. Aber stets widerstand sie der Versuchung; sie wollte nicht feige und würdelos sterben, wollte statt dessen kämpfen bis zuletzt. Und so hielt sie durch, Tag um Tag – bis der Augenblick da war, in dem sie von draußen die Schritte des Scharfrichters vernahm.
Schleichend klangen die Schrittgeräusche, ganz anders als die schweren, tappenden Tritte des Büttels. Zitternd preßte Branwyn sich an die Felswand und starrte durch das Dunkel dorthin, wo jeden Moment das Fackellicht in das Verlies fallen mußte. Nun ertönte das Scharren von Metall gegen Stein; im nächsten Moment wiederholte sich der harte, klingende Laut, der Türriegel kreischte – gleich darauf wurde die Pforte aufgestoßen, und im Schein einer Pechkerze sah Branwyn den vermummten, mit einem Beil bewaffneten Henker.
Epilog
Die Barke
Lautlos trieben die von rötlichen Schlieren durchzogenen Nebelschwaden; in ihrem Fluten schienen die Grenzen von Diesseits- und Anderswelt ineinander überzugehen. Schwerelosigkeit umhüllte die langsam dahingleitende Barke; mühelos schnitt der Bug des dunklen
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