Die Bischöfin von Rom
Schiffes durch ein Meer, das unsichtbar unter dem Kiel strömte. Absolute Freiheit erfüllte die Seele der Frau, die am Bug des Seglers stand: reglos, das Antlitz von einer Aureole rotgoldenen Haares umrahmt.
Zeit, deren Natur nichts Irdisches an sich hatte, verstrich; irgendwann schälte sich aus den schwebenden Nebeln die Ahnung einer harmonisch geschwungenen Kontur. Wiederum wenig später bewegten sich die Lippen Branwyns, und sie flüsterte: »Das Ziel … Ich habe es tatsächlich erreicht …«
Tief atmete sie die reine Luft ein; die frische, salzige Brise, die wie ein Geschenk war – und erinnerte sich dabei an den feuchten Modergeruch ihres Kerkers. Sofort war die Todesangst wieder gegenwärtig: die Panik, die sie beim Anblick der vermummten, mit dem Beil bewaffneten Gestalt erfaßt hatte. Sie erstarrte; gleich darauf hatte sie das Gefühl, alles noch einmal zu erleben.
***
Sie wollte schreien, doch die Hand, die sich auf ihren Mund preßte, verhinderte, daß ein Laut aus ihrer Kehle drang. Mit dem nächsten Lidschlag hörte sie die drängende Stimme: »Sei still! Ich beschwöre dich im Namen der Göttin!«
Kaum hatte sie die Worte vernommen, erkannte sie im Schatten der vermeintlichen Henkerskapuze ein Gesicht, das ihr vertraut war; gleichzeitig löste die Freundin ihren Griff.
»Du?!« raunte Branwyn fassungslos. »Wie bist du …?«
»Nicht jetzt!« unterbrach Samira sie. »Zuerst zu deinen Ketten, dann müssen wir schleunigst hier weg!«
Die Sibylle sprengte die Schlösser an den Handschellen durch einige Beilhiebe auf. Danach zog sie ein Wollgewand unter ihrem Umhang hervor; Branwyn vertauschte es hastig mit ihrem völlig verschmutzten Kleid und folgte Samira nach draußen. Die Frauen huschten etwa zwanzig Meter durch einen engen, mehrmals abknickenden und stetig ansteigenden Gang, bis sie zu einer offenen Halbhöhle kamen. Unterdrücktes Stöhnen drang aus der von mehreren Öllampen erleuchteten Kaverne; Branwyn sah den Büttel gefesselt und geknebelt am Boden liegen. Samira mußte ihn irgendwie überwältigt haben; nun kontrollierte sie rasch die Stricke, die seine Gliedmaßen zusammenschnürten, und zog die Freundin anschließend weiter.
Wiederum nach ungefähr dreißig Schritten gelangten sie zu einer Stelle, wo ein breiter Gesteinsriß quer durch die Stollensohle verlief. Ein Steg überbrückte die Kluft – doch statt ihn zu betreten, kauerte die Sibylle sich nieder und flüsterte Branwyn zu: »Keine Angst! Es wird dir nicht schwerfallen, den Weg zu ertasten …«
Im nächsten Moment schob Samira das Beil in ihren Gürtel, nahm die Fackel zwischen die Zähne und ließ sich in die Felsspalte gleiten; nachdem sie darin verschwunden war, tat Branwyn es ihr nach. Ihre Füße fanden Halt auf einem eineinhalb Meter tiefer verlaufenden Absatz im Gestein; von da an gab es in regelmäßigen Abständen Trittlöcher, so daß die beiden Frauen ohne Schwierigkeiten nach unten klettern konnten. Zuletzt – der Einstieg mußte nun turmhoch über ihnen liegen – erreichten sie eine Tropfsteinhöhle. Im Licht von Samiras Feuerbrand schimmerten Stalagtiten und Stalagmiten; zudem spiegelte der Flammenschein sich in einem unterirdischen Teich.
Instinktiv begriff Branwyn, an welch besonderem Ort sie sich befanden; sie suchte den Blick der Sibylle und las die Bestätigung in ihren Augen. Gleich darauf führte Samira sie um das Gewässer herum: zu einem Einschnitt in der Felswand, der sich hinter einer mächtigen sinterüberkrusteten Steinsäule verbarg. Der natürliche Tunnel, der dort mündete, war eng, aber bequem zu begehen; allerdings schien er eine kleine Ewigkeit kein Ende zu nehmen. Doch schließlich drang ein nach Pflanzen duftender Luftzug heran, und als die Frauen einen fast ganz mit Steinquadern verbauten Ausstieg überwunden hatten, sah Branwyn, zwischen Zypressenkronen und Mauerresten hindurch, den Vollmond am sternenübersäten Firmament stehen.
Sie verspürte grenzenlose Erleichterung; mit allen Sinnen genoß sie das Gefühl der Freiheit, dann fragte sie leise: »Wo sind wir?«
»Auf einem Ruinengrundstück außerhalb der Stadtmauer nahe der Via Tusculana«, entgegnete Samira, wobei sie ihre Fackel löschte. »Und es bleiben uns noch etwa fünf Stunden, ehe der Morgen graut.«
Branwyn umarmte ihre Freundin; während sie an der Brust Samiras lag, vernahm sie von einem teilweise eingestürzten Gewölbe her ein Schnauben. Sie zuckte zusammen, aber die Sibylle beruhigte sie: »Keine
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