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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Lächeln ab. »Warum trinkst du nicht ein wenig heiße Schokolade, Liebster.« Sie stand auf. »Ich gehe die Küche aufräumen.«
    Dr. Rouse nahm den Becher vom Tisch und sank wieder in sich zusammen, als hätte er seine Reserven an Empörung aufgebraucht. War diese unermüdliche Rücksicht auf den Partner von Nutzen oder schadete sie? Clare hatte bisher nur eine Ehe aus nächster Nähe erlebt – die ihrer Eltern –, aber sie konnte sich nicht erinnern, dass ihr Vater sich jemals wie Dr. Rouse für eine aufbrausende Bemerkung entschuldigt hätte. Aber sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass ihre Mutter ihrem Vater auf einem Tablett heißen Kakao servierte oder sich bemühte, sein gesträubtes Gefieder zu glätten.
    Clare nahm mit einem gemurmelten Dank ihr Getränk vom Couchtisch. Mrs. Rouse warf ihrem Mann noch einen Blick zu – maß seine emotionale Temperatur – und huschte aus dem Zimmer. Auf Clares Tasse stand COLUMBIA UNIVERSITY COLLEGE FOR PHYSICIANS AND SURGEONS in goldener Frakturschrift. »Waren Sie an der Columbia?«, fragte sie in dem Bemühen, ein Gespräch anzuknüpfen.
    Dr. Rouse wies mit dem Becher auf Mrs. Marshall. »Ihre Mutter hat mich hingeschickt. Hat mein Studium und meine Facharztausbildung bezahlt. So bin ich in die Klinik gekommen, wissen Sie.« Er straffte sich, sprach Mrs. Marshall direkt an. »Es war nicht gerade mein Traum, mein Leben in dieser schäbigen Allgemeinpraxis zu verbringen. Ich wollte meine Zeit abdienen und dann so schnell wie möglich verschwinden.«
    Mrs. Marshall saß steif da, die Knie aneinandergepresst, und nippte an ihrem Kakao. Clare wartete darauf, dass sie etwas erwiderte. Als sie schwieg, wagte Clare sich vor. »Warum sind Sie geblieben?«
    »Mrs. Ketchem starb um die Zeit, als mein Vertrag auslief. Ich hatte zugestimmt, so viele Jahre für die Klinik zu arbeiten, wie sie meine Ausbildung finanziert hatte. Sieben Jahre. Aber als es für mich Zeit wurde zu gehen, gab es niemanden, der kompetent genug oder willens gewesen wäre, diesen undankbaren, unterbezahlten Job zu übernehmen. Und inzwischen hatte mich Mrs. Ketchems Leidenschaft für die Klinik gewissermaßen … infiziert.«
    » Und Sie hatten sich hier ein Leben aufgebaut«, ergänzte Mrs. Marshall. » Und Renee wollte ihre Familie nicht verlassen …«
    Er warf einen wütenden Blick auf Mrs. Marshall. »Das stimmt. Aber zum größten Teil war es die Klinik. Sie haben keine Ahnung, wie viel sie Ihrer Mutter bedeutete. Überhaupt keine. Wenn ich Ihnen erzählen würde …« Er verstummte.
    Clare dachte, dass er ein bisschen theatralisch klang. Offensichtlich empfand Mrs. Marshall genauso. »Allan«, sagte sie mit sanfter Stimme, »ich bin sicher, dass Sie Dinge über meine Mutter wissen, die mir unbekannt sind. Aber ich bin diejenige, die sie zur Treuhänderin ernannt hat, und ich verhalte mich so, wie ich annehme, dass es ihren Wünschen entspricht.« Sie stellte ihren Becher auf den Couchtisch. »Ich glaube, im Augenblick ist unsere Anwesenheit für Sie nur eine unnötige Belastung. Wir sollten uns jetzt verabschieden und Ihnen die Gelegenheit geben, über unser Gespräch nachzudenken. Sie haben meine Nummer, und wenn Sie noch einmal darüber reden wollen, rufen Sie mich doch bitte an.«
    Sie stand auf, und Clare folgte hastig ihrem Beispiel. Sie begegneten Mrs. Rouse an der Tür, als sie ihre Mäntel aus dem Schrank holten. »Sie brechen schon auf?«, fragte sie.
    Mrs. Marshall legte der Frau die Hand auf den Arm. »Renee, es tut mir leid, dass ich so schlechte Neuigkeiten überbracht habe. Bitte lassen Sie mich wissen, wie es ihm geht.«
    Einen Moment lang brach Mrs. Rouses fröhliche Fassade zusammen, und sie wirkte älter, erschöpft, verängstigt. »Er ist in letzter Zeit so unberechenbar«, flüsterte sie. »Manchmal sitzt er stundenlang in dem alten Sessel, ohne zu lesen oder fernzusehen. Er sitzt einfach nur da. Und zu anderen Zeiten kommt er schimpfend und wetternd nach Hause, bereit, die Weltherrschaft zu übernehmen. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich ihm helfen kann.«
    »Haben Sie schon daran gedacht, einen Psychiater zu konsultieren?«, fragte Clare. »Vielleicht hat er Depressionen.«
    »Das ist ausgeschlossen!« Mrs. Rouses Gesicht wurde ausdruckslos. »Er ist der stabilste Mensch, den ich kenne.«
    Sie setzte wieder ihre fröhliche Miene auf. »Vermutlich muss er nur mal ausspannen. Wir fahren diesen Freitag zu einem Ärztekongress nach Phoenix. Wir haben vor, ein paar Tage

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