Die Bleiche Hand Des Schicksals
man erhielt, wenn man seine Scheune nicht verriegelte und in die andere Richtung schaute. Harry wusste so sicher, wie er die Namen seiner Kinder kannte, dass im Umkreis von zehn Meilen mindestens zwei oder drei Lieferwagen in Heuschobern versteckt waren, deren Fahrer und bewaffnete Begleiter in den Heuböden darüber ungestört schnarchten. Er wusste es und konnte nichts dagegen tun. Er zwang sich zu lächeln, grinste seine Männer an. »Falls irgendwelche Schnapsschmuggler durch die Stadt fahren, hältst du sie an, Ralph, okay?«
McPhair salutierte zackig, während er die Türen aufstieß, und Harry, Stevenson und Inman stapften im Gänsemarsch die Treppe hinauf, zur Begleitung der unsichtbaren Frauenstimme, die jetzt verlangte, den Polizeichef zu sprechen. Was gewöhnlich das Ergebnis war, wenn jemand mit einem Problem durch die Türen trat und auf Sergeant Tibbet stieß.
Vor Harry erstreckte sich der lange Empfangsbereich mit Türen zu beiden Seiten. Dieser Bereich wurde von Sergeant Tibbet gehütet, der ebenso eichern und massiv wirkte wie der Tisch, hinter dem er saß. Eine schlanke, braunhaarige Frau stand davor, angespannt wie eine Angelschnur, an der eine Schnappschildkröte hing. Als sie ihn sah, fragte sie: »Chief McNeil?«, und er konnte ihrer Stimme anhören, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Er bedeutete den beiden Beamten, in den Mannschaftsraum zu gehen, ehe er die Hand der Frau ergriff. »Ich bin Harry McNeil«, stellte er sich vor. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Er hoffte, sie wäre hier, um sich über eine Nachbarin zu beschweren, die ihre Höschen auf der Leine hängen ließ, oder über Kinder, die Feuerwerkskörper in ihren Briefkasten steckten. Er war todmüde.
»Es geht um meinen Mann. Er ist verschwunden.«
Er seufzte. Das konnte etwas so Einfaches bedeuten wie eine Autopanne oder etwas so Unangenehmes wie ein geplündertes Konto und eine andere Frau. »Offen gestanden war ich gerade auf dem Weg nach Hause, Mrs. …?«
»Ketchem. Mrs. Jonathon Ketchem. Bitte, Sie müssen mir zuhören. Er hat das noch nie getan. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll.«
Er rieb sich mit beiden Händen die Augen. »Wo wohnen Sie, Mrs. Ketchem?«
»In der Ferry Street 14.«
Keine schlechte Gegend. Hart arbeitende Kirchgänger, die ihre Rechnungen zahlten und früh zu Bett gingen. »Wie sind Sie heute Morgen hierhergelangt?«
»Zu Fuß.«
Er nickte. »Nun, Mrs. Ketchem, die Ferry Street liegt auf meinem Heimweg.« Sergeant Tibbet hob angesichts dieser Lüge die zottigen Augenbrauen. »Was halten Sie davon, wenn ich Sie dort absetze und Sie mir unterwegs alles erzählen?«
»Wie können Sie von zu Hause aus die Suche nach Jon einleiten?«
Eine Suchaktion ist nicht gerade wahrscheinlich, dachte er, sagte aber: »Ich kann in der Zentrale anrufen und jemanden damit beauftragen.«
Mrs. Ketchem sah kurz zu Sergeant Tibbet, der gähnte. »In Ordnung«, erwiderte sie. »Sie können mich nach Hause fahren.«
Im Wagen kauerte sie auf der Kante des Sitzes, nervös, als wäre sie bereit loszustürzen, sobald er langsamer fuhr. Vielleicht war sie eher an einen Pferdewagen gewöhnt. Sie sah recht ländlich aus. »Sie und Ihr Mann besitzen ein Automobil?«, fragte er.
Sie beruhigte sich. »Ja«, antwortete sie. »Jonathon hat es mitgenommen. Er fährt immer, ich nie.« Ihre Nervosität erinnerte ihn an das letzte Kutschpferd, das er besessen hatte, ehe er sich den Studebaker kaufte. Eine Halbblutstute, ängstlich und absolut schreckhaft. Aber ausdauernd, wenn sie erst einmal angeschirrt war.
Er wollte die Frau ein wenig beruhigen, ehe er ihre Geschichte hörte.
»Sind Sie mit den Ketchems in Lick Spring verwandt?«
»Sie sind meine Schwiegereltern.«
Er bog auf die Elm Street ab. »Sie haben eine ziemlich große Farm«, bemerkte er.
»Ja.« Sie war bleich, versuchte sichtlich, sich zu beherrschen. Er fuhr die Burgoyne Street hinunter und in die Ferry. »Da wohnen wir«, sagte sie. Das Haus der Ketchems war klein, aber gepflegt, mit einer Scheune, groß genug für einen Stall und eine Kutsche, die durch einen überdachten Gang mit der Rückseite des Hauses verbunden war. Er parkte am Straßenrand, stieg aus und öffnete seinem Fahrgast die Tür. Steif stieg sie die Stufen zur Haustür hinauf. Es schien Harry, als wappnete sie sich dagegen, ihr Heim wieder zu betreten, und einen Moment lang fragte er sich, ob ihr verschwundener Ehemann die Angewohnheit hatte, sie zu schlagen.
Er streifte die
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