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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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auf. Russ griff nach ihrer Hand, drückte sie fest, ließ los. Stillman rollte ihn in den Lastenaufzug.
    »Ich werde da sein«, wiederholte sie.
    Russ streckte den Arm nach ihr aus, seine Hand griff nach ihr, als könnte er sie in den Aufzug ziehen und mitnehmen. Seine Augen waren schwarz von den Schmerzmitteln, die in ihn hineingepumpt wurden, und obwohl ihr bewusst war, dass es nur an den Medikamenten lag, stand sie noch lange da und starrte auf ihr zerkratztes verschwommenes Spiegelbild, nachdem sich die Aufzugtüren hinter seinen letzten Worten geschlossen hatten: »Ich warte. Ich lass nicht los.«

22 Freitag, 16. April 1937
    H arry McNeil holte gerade sein Mittagessen am Tresen von Rexall, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. Er drehte sich um und war überrascht, als er Niels Madsen erkannte.
    »Ich habe Sie gesucht«, sagte der Anwalt.
    Harry streckte die Hand aus. »Und mich gefunden.« Sie schüttelten sich die Hände. Er drehte sich wieder zum Tresen, wo der Angestellte sein KäseSchinken-Sandwich einwickelte. »Sie hätten doch einfach in meinem Büro anrufen können.«
    »Sie sind ja nie in Ihrem Büro«, sagte Niels in leicht vorwurfsvollem Ton.
    Der Angestellte steckte einen kleinen Behälter mit Krautsalat und eine Papierserviette in die Tüte. »Möchten Sie Pickles dazu?«, fragte er. Harry schüttelte den Kopf. »Einen Vierteldollar«, sagte der Angestellte. Harry angelte die Münzen aus der Tasche und reichte sie hinüber.
    »Ich bin nie dort, weil in meinem Büro nur selten Verbrechen begangen werden«, nahm Harry das Gespräch wieder auf. »Den Bürgern der Stadt tut es gut, ihren Polizeichef auf den Straßen zu sehen.« Er grinste. »Und ich werde kribbelig, wenn ich zu lange eingepfercht bin.« Er warf einen Blick zum Tresen, dessen Hocker sämtlich belegt waren. »Kommen Sie, wir gehen über die Straße und setzen uns in den Park.«
    »Es ist zu kalt, um sich in den Park zu setzen«, antwortete Niels, folgte Harry aber dennoch aus dem Lokal. Harry wusste nicht, worüber sich der Anwalt beschwerte – sein langer Wollmantel schien wesentlich fester als Harrys Polizeijacke, die seit mehr als acht Jahren nicht ersetzt worden war. Am Straßenrand blieb er stehen, blickte in beide Richtungen und überquerte dann die Church Street zum Park.
    Trotz der Aprilkühle hatte Harry nicht als Einziger die Idee gehabt, seine Mittagspause im Freien zu verbringen. Die Bänke waren voller essender, redender Menschen, die sich nach dem langen Winter nach der Frühlingssonne verzehrten und mit nach oben gewandten Gesichtern dort saßen. »Wie wär’s da drüben?«, fragte er und zeigte auf eine Bank unter einer gewaltigen alten Ulme. Sie stand St. Alban’s gegenüber, das Alter des Baums ein sanfter Vorwurf für die imitierte mittelalterliche Kirchenfassade. »Da sitzt niemand.«
    »Weil sie im Schatten steht«, bemerkte Niels.
    Harry ignorierte ihn und setzte sich. Er nahm die Papierserviette aus der Tüte und breitete sie über seine Knie. Niels grunzte, als er sich zu ihm gesellte. Harry griff nach dem Sandwich und wickelte es aus, wobei er sorgsam darauf achtete, dass nichts von dem Salat herunterfiel. »Worum geht es denn?«, fragte er.
    Niels rutschte auf der Bank herum. »Wie geht es Ihren Kindern?«, erkundigte er sich.
    »Gut«, antwortete Harry. »Und Ihren?«
    »Gut«, sagte Niels. »Wie läuft’s im Revier?«
    »Großartig«, erwiderte Harry. »Und in der Kanzlei?« Er biss in sein Sandwich und kniff ob der Schärfe des Senfs kurz die Augen zusammen.
    »Ach, großartig«, sagte Niels. Die roten Türen von St. Alban’s schienen ihn zu faszinieren.
    »Niels«, fragte Harry, den Mund voller Käse, »warum haben Sie nach mir gesucht?«
    Niels betrachtete weiter die Kirchenfassade. »Jane Ketchem war letzte Woche bei mir.« Harry spürte wie immer, wenn er den Namen Ketchem hörte, einen kurzen Stich im Hinterkopf. Wie die Glocke, die einem besiegten Boxer die Niederlage verkündet, ihm zuruft, dass seine Zeit abgelaufen ist. Er wartete, dass Niels fortfuhr.
    »Sie möchte, dass ich beim Nachlassgericht den Antrag stelle, ihren Mann gesetzlich für tot erklären zu lassen.«
    Harry schaffte es, den Bissen hinunterzuschlucken. »Brauchen Sie dafür nicht eine begründete Annahme, dass er wirklich tot ist?«
    »Eine Scheidung, weil sie verlassen wurde, könnte ich mühelos durchsetzen.« Niels schien eher mit sich selbst als mit Harry zu reden. »Aber nein, sie will Witwe sein.« Er drehte sich zu

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