Die Blendende Klinge
gelesenen Bücher weitergereicht?«
»Wenn Bibliothekare den Wunsch verspüren, nicht gefeuert zu werden – ja, ohne Frage. Manchmal vergessen wir jedoch, alle Titel zu notieren, oder wir übersehen das eine oder andere.«
»Aha. Könntet Ihr übersehen , dass ich nun zu diesem Band fortgeschritten bin?«
»Du willst, dass jemand deine Fähigkeiten unterschätzt, hm?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, ob es auf meinem gegenwärtigen Stand überhaupt möglich ist, meine Fähigkeiten zu unterschätzen«, erwiderte Kip. »Ich hoffe, dass meine Fähigkeiten in baldiger Zukunft einen großen Sprung machen und jedermann überraschen. Mich eingeschlossen.«
»Wenn du einen Sprung machen willst, musst du auch anfangen zu spielen.«
Kip breitete hilflos die Arme aus.
»Ich kann dich unterrichten«, sagte sie. »Nach Ende meiner Schicht kann ich noch ein oder zwei Stunden länger bleiben. Ich bringe Karten mit.«
Und so wartete er jetzt, eine Woche später, auf Rea und versuchte, einen wachen Kopf zu behalten.
Rea kam heraus und bedeutete Kip, ihr in eines der Nebenzimmer zu folgen. »Ich kenne jetzt dein Problem«, erklärte sie.
»Ich bin für dieses Spiel nicht klug genug?«, riet Kip.
Sie lachte. Sie hatte ein hübsches Lachen, und Kip war ganz hübsch in sie vernarrt. Orholam, war er wankelmütig oder so was? Aber die Frauen hier waren deutlich netter zu ihm als die Mädchen daheim. Er fragte sich, ob es ihm früher ungerecht schlecht ergangen war, weil er zu Hause unter dem Nachteil gelitten hatte, diese Mutter zu haben – oder ob es ihm jetzt ungerecht gut erging, weil er nun diesen Vater hatte. Er konnte es nicht sagen – und würde es auch niemals sagen können. Er war, wer er war, und nichts konnte daran etwas ändern, und nichts konnte ihn darüber in Kenntnis setzen, wie alles gekommen wäre, wenn seine Eltern anders, normal, gewesen wären.
»Ich glaube nicht, dass es daran liegt, Kip. Jede Karte hat eine Geschichte .«
»Oh nein.«
»Jede Karte basiert auf einer realen Person oder zumindest auf einer realen Legende. Aber einige der Karten, die du mir beschrieben hast, sind veraltet, und sie wurden vor Jahren aus dem Verkehr gezogen. Man nennt sie manchmal die schwarzen Karten oder die Ketzerkarten. Die gesamten Gewinnchancen haben sich ohne diese Karten völlig verändert. Manche Karten können nicht mehr so einfach gestochen werden, wie es mit diesen Karten leicht möglich gewesen war. Du darfst niemandem verraten, dass du mit diesen Karten gespielt hast, Kip. Das Spiel mit Ketzerkarten ist ein guter Anlass, um sich einen Besuch von der Kongregation für den reinen Glauben einzuhandeln. Aber eins sage ich dir: Du kannst nicht gegen jemanden gewinnen, der mit schwarzen Karten spielt. Die Grundlagen sind nach wie vor die gleichen, aber alle tiefschürfenden Strategiebücher der letzten zweihundert Jahre behandeln nur den Raum um die Löcher, die die Entfernung dieser Karten zurückgelassen hat.«
»Es gibt keine Bücher, die diese Karten mit behandeln?«
Sie zögerte. »Nein, nicht … hier.«
»Nicht hier in der Bibliothek oder nicht in der Chromeria?«
»Die Chromeria schätzt das Wissen so hoch, dass selbst die abscheulichsten Texte, in denen die Riten der Anatianer beschrieben werden, wenn sie Säuglinge durch die Flammen gereicht haben, nicht zerstört worden sind. Ja, wenn sie so alt geworden sind, dass sie entweder abgeschrieben werden oder zu Staub zerfallen mussten, haben wir sie kopiert. Wenn auch mit wechselnden Gruppen von zwanzig Schreibern. Da schreibt jeder nur ein einziges Wort ab und geht dann zum nächsten und übernächsten Buch weiter, so dass das Wissen bewahrt werden kann, ohne dass irgendjemand ganz und gar dadurch vergiftet wird. Nicht alles, was in die dunklen Bibliotheken wandert, ist ähnlich böse – vieles ist einfach politisch brisant, aber nur die vertrauenswürdigsten Menschen erhalten Zugang zu diesen verbotenen Räumen.«
»Wie wer zum Beispiel?«, wollte Kip wissen.
»Die Chefbibliothekarin und ihre wichtigsten Hilfskräfte natürlich. Der Schreibermeister und seine Leute. Einige Luxiaten mit einer Sondergenehmigung der Weißen. Auch fertig ausgebildete Wandler, die spezielle Nachforschungen anstellen, dürfen auf Antrag manchmal einzelne Bücher ausleihen oder in Begleitung vor Ort Einsicht in sie nehmen. Außerdem Schwarzgardisten und die Farben. Und manchmal erteilen die Farben auch bestimmten Wandlern eine Genehmigung, die aber von der
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