Die Blendende Klinge
weil sie sich in einem der Trainingsräume der Schwarzgardisten befanden. Es war Abendessenszeit, und es waren nicht viele der Frischlinge im Raum. Die meisten waren angehende Schwarzgardisten der höheren Kurse, doch Kruxer befand sich ganz in der Nähe und trat mit Absicht und System seine Schienbeine gegen einen Pfosten. Er hatte Teia einmal erklärt, dass dadurch die Schienbeinknochen leicht angebrochen würden, worauf der Körper reagierte, indem er sie nur noch fester und stabiler werden ließ. Er hatte ihr seine massigen Schienbeine gezeigt. Es war beeindruckend – und irgendwie abstoßend. Im Moment jedoch hatte er sein Training verlangsamt und lauschte offensichtlich.
»Was ist denn so gefährlich daran?«, fragte Teia. Martha Martens, ihre Privatlehrerin, war bereits über fünfzig Jahre alt. Uralt für eine Wandlerin. Gewelltes, mittlerweile platingraues Haar, olivfarbene Haut, die oberen Schneidezähne fehlten.
»Dass du blind werden und verbrennen kannst.«
Teia sog scharf die Luft ein. Oh, sonst noch was?
»Um Paryl zu sehen, musst du die Pupillen stark erweitern, viel stärker, als die meisten Menschen es können. Du kannst das bewusst tun, richtig?« Magistra Martens saugte an ihrer dünnen Oberlippe.
»Ja, Magistra.«
»Dann tu es. Ich muss es mir ansehen.«
Teia brauchte einen Moment. Wenn man angespannt war, war es schwer, die Augen auf die für Paryl notwendige Weise zu entspannen. Aber schließlich war es so weit.
»Gut«, sagte Magistra Martens. »Und jetzt wieder normal. Ich nehme an, du hast deine eigenen Augen nie im Spiegel gesehen, wenn du das gemacht hast? Nein? Dann schau mal her.«
Die Frau starrte Teia an, und ihre Augen weiteten sich unnatürlich, die Iris wurde zu einem dünnen Ring aus Braun um eine riesige Pupille herum.
Teia nickte anerkennend.
»Das ist nur, um Infrarot zu sehen«, erklärte die alte Wandlerin. Dann blähten sich ihre Pupillen noch weiter auf, dehnten die Lederhaut selbst, und ihr ganzes Auge erfüllte ein unheimliches Schwarz, das das Weiß völlig verdrängte.
Teia zuckte zusammen und wich zurück.
Binnen eines Wimpernschlages waren die Augen der Frau wieder normal.
»So sehen deine Augen aus, wenn du Paryl siehst, Adrasteia. Unsere Augen selbst sind anders, die Linsen viel beweglicher, von Orholam mit einer veränderten Sicht gesegnet. Kannst du Ultraviolett sehen?«
»Nein. Und ich bin farbenblind: rot-grün.« Am besten, sie rückte gleich damit heraus.
»Bedauerlich.«
»Und Ihr seid es auch?«
»Farbenblind? Nein, aber es kommt unter uns häufiger vor. Wir können ein gewaltiges Lichtspektrum sehen, viel größer als dasjenige anderer Wandler. Aber es überschneidet sich nicht notwendigerweise mit dem, was andere sehen. Der Lehrmeister meiner eigenen Herrin, Shayam Rassad, war im sichtbaren Spektrum vollkommen blind, doch konnte er sich mit Infrarot und Paryl hervorragend zurechtfinden. Aber zurück zu den Gefahren. Da wären zuerst die körperlichen: Wenn du die Augen in hellem Licht zu oft derart weitest, kannst du erblinden. Das ist im Allgemeinen ein allmählicher Prozess, aber du musst mit Luxin-Fackeln und hellem Sonnenlicht extrem vorsichtig sein. Jetzt aber genug geredet. Lass uns sehen, was du kannst.«
Und so begannen sie zu üben. Magistra Martens fragte Teia, was sie sehen könne, wandelte eigenes Paryl, wählte nahe und ferne Quellen und forderte Teia auf, das Gleiche zu wandeln. Paryl sei, wie Magistra Martens erklärte, mehr eine Art Gel als irgendetwas sonst, wenn auch ein Gel, das leichter war als Luft. Es ließ sich gut zu Markierungszwecken verwenden, weil das Gel schwebte, ausfranste und dabei ständig Paryl-Licht abgab.
»Also habt Ihr die Markierungen für meine Herrin gemacht«, sagte Teia. Wie dumm, dass sie das nicht gleich begriffen hatte. Natürlich hatte diese Frau das getan! Es gab hier nicht gerade Hunderte von Paryl-Wandlern.
Das Gesicht der Frau war plötzlich sehr reglos geworden.
»Wie viele von uns gibt es?«, wollte Teia wissen.
»Im Moment nur zwei«, antwortete Magistra Martens. Sie schaute nach rechts und links, während sie sprach, und blickte nervös zu Kruxer hinüber, der immer noch so tat, als trainiere er, und bei alledem bewegte sich ihr Kopf überhaupt nicht. »Nur dich und mich.«
»Aber das kann nicht stimmen«, wandte Teia ein. »Ich habe einen Mann festes, solides Paryl wandeln sehen und …«
Martha Martens zischte – sie zischte wirklich. Teia erstarrte.
Die Züge der
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