Die Blendende Klinge
stürzte ins Haus.
Als er durch die herausgerissene Tür schritt, rannte er in etwas hinein. Etwas Nachgebendes und Unsichtbares. Kein etwas. Jemand.
Kips Gewicht erwies sich ausnahmsweise einmal als nützlich, und er fiel vornüber, taumelte in Janus Borigs Haus hinein und riss die unsichtbare Gestalt von den Füßen. Kip sah das Bein einer Hose durch einen offenen Umhang blitzen, als der Mann über ein zerschmettertes Regal stürzte.
Im Raum regnete es Karten. Der Mann musste seine Hand voll davon gehabt haben, und als er auf dem Boden aufschlug, verteilten sie sich überall.
Dann raschelte Stoff, und der Mann war verschwunden.
Kip sprang auf die Füße, rutschte über den Abfall auf dem Boden und sah tote Menschen. Bewaffnete Männer, vielleicht ein halbes Dutzend, alle in schwarzer Uniform, ein silbernes Abzeichen auf die Brust gestickt. Janus Borigs Wachen. Alle Toten waren ihre Wachen. Von den Eindringlingen hatten die Wachen niemanden getötet.
Das Geräusch einer gezogenen Klinge zerteilte das gedämpft hereindringende Rauschen des Regens.
Kip weitete seine Augen, so dass sie für das Infrarotspektrum empfänglich wurden – und plötzlich erschien der unsichtbare Mann in seinem Gesichtsfeld. Er war in einen Umhang gehüllt, verströmte aber immer noch mehr Hitze als seine Umgebung. Er kam direkt auf Kip zu und gab sich keinerlei Mühe, sich zu bücken und seinen Schwerpunkt nach unten zu verlagern. Kip musste auf ihn wie leichte Beute wirken.
Kip blickte verzweifelt um sich, als begriffe er nichts von dem, was hier vor sich ging, und wartete, bis der Mann im Umhang nahe genug war. Offenbar verbarg der Umhang nur das, was sich direkt unter ihm befand, und so hatte der Mann lediglich ein Kurzschwert bei sich, das er zudem erst im letzten Moment zücken konnte, wenn es nicht, mitten in der Luft hängend, sichtbar werden sollte. Daher kam der Mann mit nach unten gerichtetem Schwert auf Kip zu.
Als der Mann nur noch zwei Schritte entfernt war, schrie Kip auf. Er sprang auf den Mann zu und drehte sich dann seitlich an ihm vorbei. Sein linker Arm sauste nieder und schlug den Schwertarm des Mannes herab, als er gerade nach oben fuhr, und gleichzeitig stieß er mit der Rechten dem Mann seinen Dolch in die Brust.
Infrarot war schlecht, um Einzelheiten auszumachen, vielleicht war Kip aber auch einfach ungeschickt, denn er trat auf Bücher und abgenagte Apfelgehäuse, rutschte aus und ließ den Dolch los.
Er sprang wieder auf die Beine, der Kampfrausch ließ ihn erbeben. Der Unsichtbare lag, nun sehr gut sichtbar, auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, reglos, Kips Dolch in der Brust.
Kip blickte sich fieberhaft um. Janus bewahrte hier Tausende von Musketen auf. Warum nur konnte er im Moment keine einzige finden? Bisher schien nichts zu brennen, auch wenn es stark nach Rauch roch. Der Geruch wurde allerdings überlagert durch den harzigen Zedernduft grünen Luxins. Sie hatten mit Luxin Feuer erstickt. Feuer. Janus Borig hatte gesagt, dass sie die Karten oben im ersten Stock mit Sprengfallen gesichert hatte. Vielleicht hatte sie auch hier unten Fallen gelegt.
»Vox?!«, schrie eine weibliche Stimme von oben herab. »Was war das?«
Kip zog seinen Dolch aus der Leiche und sprang die Stufen hinauf, unauffällig wie ein Rhinozeros, das über einen mit Porzellan gefüllten Schrank stolpert. Die Frau stand an der Wand mit den Karten und zog sie herunter, steckte sie in eine mit Trennwänden versehene Holzkiste, doch sie schien bereits alarmiert, als Kip in ihr Gesichtsfeld trat. Sie ließ die Kiste auf den Tisch fallen und zog den Umhang fest um sich.
Unwillkürlich hatten sich Kips Augen wieder auf ihr normales Spektrum eingestellt, und er erhaschte einen kurzen Blick auf den Raum. Janus Borig lag als blutiges Bündel an ihrem Schreibtisch, tot. Ein Teil der glatten Wand war aufgebrochen und dahinter ein Versteck freigelegt worden, das Karten oder andere Schätze enthalten hatte, und die Hälfte der Wand war bereits kahl.
Ein Schimmer schoss auf ihn zu, und er entspannte seine Augen. Die unsichtbare Frau wurde zu einem warmen Glühen, das sich ihm schnell näherte. In der letzten Sekunde hob sie ihr Schwert. Diese Meuchelmörder mussten es gewohnt sein, in ihren Opfern leichte Beute zu finden, denn als Kip zur Seite sprang, war sie so überrascht, dass sie nicht einmal versuchte, ihre Laufrichtung entsprechend anzupassen. Kip wirbelte herum, als er an ihr vorbeisprang, und ging auf sie los.
Sein Dolch
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