Die Blendende Klinge
hätte keine Rolle gespielt, welche Wand Dazen durchbrochen hätte. Alle waren sie gleich.
Für einen kurzen, dummen Moment kochte er vor Wut über all die Zeit, die er damit verschwendet hatte zu überlegen, welche Seite er sich vornehmen sollte. Aber das war schnell vorbei. Jene Tage der Unschlüssigkeit waren vorbei und konnten nicht zurückgeholt werden; und es war unlogisch, sich im Nachhinein darüber zu ärgern und so noch mehr Zeit der Gegenwart an die Vergangenheit zu verschwenden. Er schob die Erinnerung beiseite, und das Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück.
Auf der einen Seite erkannte er einen Tunnel, auf dessen Boden scharfe Scherben aus Höllenstein glitzerten.
Dazen lachte, leise, verhalten. Lachte darüber, endlich, endlich einmal unterschätzt worden zu sein.
Nein, Bruder, das wird nicht funktionieren. Diesmal nicht.
68
»Corvan, bin ich ein guter Mensch?«, fragte Gavin.
»Du bist ein großer Mensch, mein Freund.«
»Das ist nicht dasselbe, nicht wahr?«, erwiderte Gavin. In seinen Träumen hatte er Blut gesehen. Blut, das das Wasser verfärbte, vom Blau, das er nicht sehen konnte, hin zu dem Rot, das er auf alle Fälle sehen konnte. Rot auf Grau. In seiner beginnenden Blindheit hatte er völlig unwillentlich die Schönheit des Blaus gegen Blut eingetauscht.
Corvan antwortete: »Wer die Welt bewegt, wird so manchen zerquetschen. Wie könnte es auch anders sein? Als du die Piraten am Kap der Ruhe versenkt hast, sind die an ihre Ruder geketteten Sklaven als Erste gestorben. Aber was hättest du sonst tun können? Die Piraten verschonen, damit sie Tausende mehr versklaven können? Doch das habe ich nicht gemeint. Du bist ein großer Mann.«
Gavin dachte über seine Worte nach und verstaute sie in den Speichern seines Gedächtnisses. »Und du, Corvan? Was für eine Art Mensch bist du?«
»Ich bin einfach fachkundig und fähig. Ein Roter durch intensives Training, nicht von Natur aus. Kein Führer, außer wenn es an Führerpersönlichkeiten mangelt. Aber das alles weißt du besser als jeder andere.« Sein Gesichtsausdruck war amüsiert, spöttisch.
Kein Führer, außer wenn es an Führerpersönlichkeiten mangelt? Es war wohl wahr: Corvan hatte sich als jemand erwiesen, der völlig zufrieden damit war, von jenen, denen er vertraute, Befehle entgegenzunehmen – selbst wenn er diese Befehle nicht verstand. Dann wiederum hatte er, ohne sein Wesen zu ändern, das Kommando über ganze Armeen übernommen. Er wusste, was getan werden musste, und tat es irgendwie, ohne dass es seine Selbsteinschätzung veränderte. Er war wahrscheinlich als Färber in einer Kleinstadt tatsächlich zufrieden gewesen.
Gavin fragte sich, wie Corvan das machte. Er selbst hatte sich nie mit einem anderen Platz als dem allerersten abgefunden. Selbst unter denen, die gewiefter waren als er, wie sein Vater, oder weiser als er, wie die Weiße, hatte er sich nicht zufriedengegeben. Und innerlich gebrannt.
Es war, ohne Zweifel, ein Charakterfehler.
»Ich ernenne dich zum Satrapen«, sagte Gavin. Wer auch immer dadurch vernichtet wird.
Corvan verschluckte sich an seinem Tee. Ja, großartig.
»Bist du wahnsinnig?«, fragte Corvan. »Lord Prisma!«
»Es ist ziemlich dasselbe wie das, was du sowieso schon bist, und ich bin noch immer das Prisma. Es ist mein Vorrecht. Sie werden versuchen, mich davon abzuhalten, aber solange du nicht die Seher massakrierst, entstehen keinem der anderen Satrapen oder der Mitglieder des Spektrums dadurch Nachteile. Ich werde vorschlagen, dass du eine Farbe im Spektrum angeben kannst, werde aber zulassen, dass ich in diesem Punkt den Kürzeren ziehe, so dass sie jenen Sieg haben, den ihre Egos brauchen. Deine neue Satrapie wird für einige Generationen eine zweitrangige sein. Das sind dann politische Kämpfe, die unsere Nachfolger werden ausfechten müssen. Erst einmal zählt das Überleben.«
»Aber warum?«, wollte Corvan wissen. »Was hast du davon?«
»Wir haben das alles schon besprochen. Nahrungsmittel. Saatgut. Wir wissen bereits, dass uns Zeiten der Entbehrung bevorstehen, aber die Insel ist groß genug, um uns bis zum Frühjahr vor dem Hungertod zu bewahren. Aber wenn wir keine Saaten für nächstes Jahr bekommen …«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich gebe unseren Leuten, unserem Volk, ein Ziel, und ich gebe ihnen einen weiteren Grund, dir zu gehorchen, hier ein neues Leben zu beginnen und hierzubleiben, auch wenn sich die Dinge wieder so gut zu entwickeln beginnen, dass
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