Die Blendende Klinge
ab.
»Marissia«, sagte Gavin.
Marissia eilte zu ihm hinüber und kniete sich Gavin zu Füßen. Sie küsste seine Hand. »Mein Herr.«
Kip musste unwillkürlich wieder zu ihnen hinschauen.
»Du hast geweint«, stellte Gavin fest.
»Ja, Herr. Ich habe Euch viel mitzuteilen.« Sie warf einen kurzen Blick auf Kip. Aha, unter vier Augen.
Gavin händigte Kip die Schimmermäntel und die Kartenschachtel aus. Dann ging er zu einem Schrank hinüber, wo er nach etwas suchte.
Kip räusperte sich plump und begab sich auf die andere Seite des Raums, wo sich ein Tisch mit Stühlen befand. Bis Kip sich hingesetzt hatte, war Marissia bereits aufgesprungen und hatte begonnen, eilig auf Gavin einzureden, die Hand seitlich vor den Mund gelegt. Wohl für den Fall, dass er von den Lippen ablesen konnte, vermutete Kip.
Diese Leute wussten, was sie taten, und sie nahmen ihre Sache sehr ernst. Kip spürte wieder das bekannte Gefühl, im Unbekannten zu versinken.
»Nein!«, sagte sie und hob ihre Stimme gerade genug, dass Kip es verstehen konnte. »Es hat keinen Alarm gegeben. Ich bin mir sicher …« Sie senkte die Stimme wieder.
Gavin stellte einige schnelle, schroffe Fragen und nickte dann mehrmals. Es klopfte an der Tür. Gavin schien zu fluchen. »Ja?«, sagte er.
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Kip konnte nicht sehen, wer es war, aber Gavin gab Kip ein kaum merkliches Zeichen zu bleiben, wo er war. Immer hatte er seine Geheimnisse, sein Vater. Nur ja niemanden etwas wissen lassen, was sie womöglich alle in Gefahr brachte. Samite, durch die geöffnete Tür aus seinem Gesichtsfeld verbannt, blieb still und verborgen.
»Gavin«, hörte er die Stimme einer älteren Frau. »Ich hoffte eigentlich, dass Ihr mich nach unten begleiten würdet. Letztlich ist es nach wie vor Eure Angelegenheit, über die das Spektrum beraten wird, doch ich würde sehr gerne zuvor noch ein Wort mit Euch wechseln.«
Die Weiße. Gavin redete mit der Weißen . Wieder musste Kip schlucken.
»Natürlich«, sagte Gavin.
Er drehte sich zu Marissia um, aber Kip hatte keinerlei Zweifel, dass er in Wirklichkeit zu ihm sprach. »Ich bin in einer Stunde zurück. Mach mir keinen Ärger.«
Marissia verbeugte sich tief. Sie wusste, wann sie mitspielen musste. Gavin warf lässig irgendetwas auf sein Bett, bedeutete Kip mit einem raschen Blick, dass es für ihn gedacht war, und verschwand.
Sobald sich die Tür hinter Gavin geschlossen hatte, wandte sich Marissia Kip zu. »Es scheint, als solltet Ihr so lange hierbleiben, junger Herr. Habt Ihr irgendwelche Wünsche?«
»Vielleicht einen kleinen Bissen, um …«
»Wunderbar. Wenn Ihr mich also jetzt entschuldigen würdet, ich habe dringende Botengänge für das Prisma zu erledigen. Bitte haltet Euch von seinen Sachen fern. Er hat wenig Verständnis dafür, wenn jemand respektlos hier eindringt, in die einzige Zufluchtsstätte, die er hat.«
»Ich ver…«
Aber sie war bereits fort und zog schnell die Tür hinter sich zu.
»…stehe«, beendete Kip. Er warf einen erzürnten Blick auf Samite neben der Tür. Ihre Lippen waren geschürzt, und zweifellos versuchte sie, sich ein Grinsen zu verkneifen, doch ansonsten war ihr Gesicht ohne Ausdruck.
Kip setzte sich an den Tisch. Mach mir keinen Ärger, klar. Er sah zum Bett hinüber und dann zur Kartenschachtel, und einen kurzen, stolzen Moment lang hatte er vor, sie nicht zu öffnen.
Zum Teufel damit.
Die Karten sprangen ihm förmlich in die Hände.
Die Tür ging auf, Kip schob die Karten hastig in die Schachtel zurück und versteckte sie unter den Umhängen.
Ach so, es war bloß Teia.
»He, mein Herr und Meister«, grüßte sie und zwinkerte ihm zu. »Die Sklavin des Prismas hat mir gesagt, du könntest vielleicht noch hier zu finden sein. Wir sollten jetzt eigentlich zum Trainieren gehen.«
»Wir müssen über die Sache mit dem ›Meister‹ reden«, sagte Kip.
»Nein, wir müssen über unsere Strategien für die Schwarzgardistenprüfung reden. Nach dem Trainieren.«
»Wir müssen doch jetzt noch nicht von Strategien reden, oder?«, erwiderte Kip.
» Wir nicht.«
»Sie haben dich hierhergeschickt, um mich abzulenken«, begriff Kip.
»Der Hauptmann meinte, du hättest gerade Schlimmes durchgemacht. Von deinem Partner wird erwartet, dass er nach dir sieht. Jetzt komm schon.«
Es war fast so, als hätte er einen echten Freund. Aber natürlich war es Teias Aufgabe, sich um Kip zu kümmern. Sie war seine Sklavin. Kip lächelte. »Fast ein echter
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