Die Blueten der Freiheit
es nicht einer der anderen Schmuggler?«
»Nein, das hier ist unser Mann.« Danach herrschte einige Momente Stille. Schließlich hörte ich, wie einer der Männer ausspuckte. »Was meinst du? Wie viele Hunde versuchen wohl heute Nacht, über die Grenze zu gelangen?«
»Zwanzig? Dreißig?«
»Ich wette, es sind Hunderte. Zumindest haben wir es leicht. De Grote sagt uns, wer es ist und wann es passieren wird. Die anderen Kopfgeldjäger müssen sich auf ihr Glück verlassen.«
De Grote. Schon wieder. Er hatte sich nicht damit zufriedengegeben, bloß mein Geld zu nehmen. Nun wollte er auch noch die Spitze. Und diese Männer wollten den Hund.
Meinen Hund. Der meine Spitze bei sich trug.
Ich wollte es nicht zur Gewohnheit werden lassen, mich mit anderen Menschen anzulegen. Ich hatte mir De Grote nicht absichtlich zum Feind gemacht. Ich war ihm auf ehrenhafte Weise gegenübergetreten und hatte vorgehabt, unser Geschäft auf ehrenhafte Weise abzuwickeln. Selbst nachdem er mich hatte zusammenschlagen lassen, hatte ich ihm die Spitze übergeben, damit er sie über die Grenze schmuggeln konnte … Und ich hatte ihm den Dolch meines Vaters überlassen. Ich wollte niemandem weh tun.
Nicht einmal ihm.
Doch nun versuchte er, mir meine Zukunft zu stehlen. Unsere Zukunft: die des Vicomte, Lisettes und meine. Und das würde ich nicht zulassen.
Ich fasste einen Entschluss. Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog und mir die Haare im Nacken zu Berge standen. Ich hatte schon einmal eine Nacht wie diese erlebt. Es war in einem anderen Leben gewesen. Damals, als ich noch mit meinem Vater in St. Segon gelebt hatte, hatte es sich der Dorfpriester zur Aufgabe gemacht, mich wie einen Hund zu hetzen, mich zu verfolgen und mich zu verspotten.
Der Wald war mein Zufluchtsort gewesen, ein beinahe perfektes Paradies, wo mich niemand verspottete, außer den Vögeln, und mich niemand anfauchte, außer den Schildkröten, die am Ufer des Baches lebten. Doch eines Nachts – ich war zehn Jahre alt gewesen – hatte der Priester beschlossen, mir bis nach Hause zu folgen.
Ich versuchte, ihn abzuhängen, indem ich den Weg verließ und zwischen den Bäumen hindurchlief, doch er tauchte wie ein Quälgeist immer wieder auf. Ich fischte einen kleinen Stein aus einem Bach und legte ihn in meine Steinschleuder. Ich wollte ihn bloß von seinem Weg abbringen. Ich zielte auf seinen Arm und schoss den Stein ab.
Doch in diesem Moment bewegte er sich.
Der Priester bewegte sich, und der Stein traf seine Stirn. Er brach tot zusammen.
Ich hatte nie jemandem davon erzählt, obwohl ich wusste, dass Gott mich beobachtet hatte. Ich schleifte seinen Körper durch den Bach und über einen Hügel, wo ich ihn schließlich vor einem Wolfsbau liegen ließ. Dann lief ich nach Hause zu der Höhle, in der mein Vater lebte.
Ich wollte es ihm erzählen. Ich sehnte mich danach, es ihm zu erzählen.
Aber ich wollte nicht, dass er mich hasste.
Also sprach ich zu dem Einzigen, der wusste, was ich getan hatte. Ich sprach zu Gott. Ich bat ihn, mir zu vergeben. Ich versprach ihm, dass ich für den Rest meines Lebens ein guter Junge sein würde. Ich würde Gutes tun. Und ich würde nie wieder einen anderen Menschen verletzen.
Und das hatte ich auch nicht getan.
Aber De Grote war etwas anderes.
Er war wie der Dorfpriester, der zurückgekehrt war, um mich zu verfolgen. Er würde mich nicht in Frieden lassen.
Die Kopfgeldjäger interessierten mich nicht, also ließ ich sie einfach ihrer Arbeit nachgehen. Ich sah zu, wie sie den Fassbinder erschossen. Erst als sie ihre Waffen auf den Hund richteten, griff ich ein. Und auch nur, um den Hund vor ihnen davonzutreiben. Ich lief hinter ihm her, durch den Wald und hinein ins Ungewisse. Ich war die Straße entlang zur Hütte des Fassbinders gekommen. Doch nun, in den wechselnden Schatten des Mondlichtes, wusste ich nicht, ob ich mich von der Grenze fort- oder auf sie zubewegte. Ich riskierte, mich im Wald zu verirren, doch es wäre weitaus schlimmer gewesen, den Hund und die Spitze aus den Augen zu verlieren.
Ich musste beinahe nach jedem Schritt innehalten, um zu lauschen, in welche Richtung sich der Hund bewegte. Schließlich holte ich ihn ein. Er lag zusammengerollt und schnaufend da und kauerte sich an die Wurzeln eines Baumes. Nun hielt ich ihn in meinen Armen, doch das half mir nicht, den Weg aus dem Wald zu finden.
Ich warf einen Blick nach links und dann nach rechts. Vor uns schien das Dunkel des Waldes heller zu
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