Die Blütenfrau
Der Kerl hatte weder Griet Vanmeer in seinen Keller gesperrt noch Spuren an den Fahrradsätteln hinterlassen oder Blutegel im Küchenschrank aufbewahrt. Das hatten andere für ihn erledigt. Leute mit Kontakten, die gerade mal ein paar Stunden brauchten, um wichtige Details in Erfahrung zu bringen, als hätte es in diesem Land noch nie so etwas wie Datenschutz gegeben. Infos aus Polizeiakten, Notizen aus Beratungsstellen, Medikamente aus diversen Giftschränkchen …
Das junge Mädchen hatte sich wohl ziemlich gewehrt, als man sie auf dem Nachhauseweg verschleppte. Sie sei ein härterer Brocken als Wesselmann gewesen, aber die Jungs hatten wahrscheinlich einfach mehr Mitleid mit einem Teenager, da konnte man nicht so hart vorgehen. Bis die Betäubung gewirkt hatte, mussten sie ein paar Kratzer und Bisse einstecken. Erinnern konnte sich Griet Vanmeer aber offensichtlich an gar nichts. Zum Glück. Sie glaubte wahrscheinlich selbst, dass Wesselmann es gewesen war, der sie in den Keller gebracht hatte.
Dieser Wesselmann hatte sich als der ideale Kandidat herausgestellt. Versoffen, verzweifelt und allein. Es war ein Kinderspiel gewesen, in die marode Wohnung einzudringen und falsche Spuren zu legen. Sie hatten zum Beispiel gestern Morgen bereits die Cordhose dort entwendet, als Wesselmann schnarchend auf dem Sofa gelegen hatte. Der Kerl hatte nichts mitbekommen. Als diese dann hinterher von diesem hilfreichen Mitarbeiter der Spurensicherung wieder in den Schrank gelegt worden war, hatte die Auricher Polizei ohnehin schon die Übersicht verloren gehabt.Und Wesselmann – wirklich wahr – schien sich nicht einmal mehr selbst über den Weg zu trauen. Absolutes Blackout … Mit manipulierten Bierdosen hatten sie ihn schnell ins Alkoholnirwana gefegt, ohne dass er etwas davon mitbekommen hätte. Eine Dosis, die Normalsterbliche für Tage aus dem Leben geworfen hätte – Wesselmann musste es für seinen üblichen Morgenkater gehalten haben. Dann ein anonymer Anruf bei der aufgedrehten Ute Sendhorst und ein paar bestochene Zeugen am Norder Marktplatz, schon ließ sich der Stein, der ins Rollen gebracht worden war, nicht mehr aufhalten. Tillmann Erb war mulmig bei dem Gedanken, wie schnell so etwas gehen konnte, wenn nur die richtige Macht dahintersaß. Bei einem anderen Menschen als Wesselmann hätte er vielleicht auch Skrupel gehabt, so etwas zu tun, aber um diese Gestalt war es sowieso nicht schade gewesen. Wer weiß, vielleicht hatte der Typ gerade wieder vor, sich einen kleinen Jungen zu greifen. Die Pornobilder in seiner Wohnung waren schließlich echt und nicht von den Jungs eingeschmuggelt. Ein schlechtes Gewissen brauchte Tillmann Erb also nicht zu haben. So viel stand fest.
Er hörte Schritte im Treppenhaus, es waren zwei Personen, sie klopften nicht an.
«Dr. Erb», sagte der Erste, der ins Büro trat. «Oder, wo wir unter uns sind, lassen wir den albernen Doktortitel doch einfach weg.»
«Wie Sie wünschen», entgegnete Erb.
Die Männer nahmen unaufgefordert seine Sitzecke in Beschlag. Rotes Designersofa mit Chromlehne vor einem Biedermeier-Tischchen aus lackiertem Nussbaum.
«Noble Hütte. Für einen Bademeister jedenfalls.» Beide lachten.
«Da haben wir aber gerade eben nochmal die Kurve gekriegt, mein Lieber.» Der Mann, der meistens redete,zündete sich eine Zigarette an. Als er die Kerle da so sitzen sah, gediegene Anzüge, Beine übereinandergeschlagen, den Arm selbstgefällig auf die Sofalehne gelegt, fühlte sich Erb an eine Szene aus einem klischeebeladenen Mafia-Film erinnert. Und so viel anders war es ja auch nicht, was sich hier abspielte, dachte er. Es ging um organisiertes Verbrechen. Diese Männer hatten ihm Schutz gewährt, nun war man voneinander abhängig und durch Gefälligkeiten aneinander gebunden.
«So ganz glücklich ist die Sache ja wohl nicht verlaufen», traute sich Erb einzuwerfen.
«Nicht unser Problem. Da hat die Kripo Aurich versagt. Wieso kommt der Vater eines Mordopfers auf das Polizeigrundstück, wenn der Täter vorgeführt wird?»
«Die Frau, die Schwerverletzte, sie ist eine nette Person.»
«Das glaube ich Ihnen aufs Wort, und hübsch dazu. Im Internet steht bereits ihr Konterfei auf allen Seiten.»
Nun beugte sich der kleinere Mann vor, er war für das Geschäftliche zuständig. «Wir bieten Ihnen ein Startkapital für eine Firmenneugründung. Sagen wir auf Mallorca? Gegenleistung von Ihnen: Sie praktizieren nicht mehr als Psychologe.»
Erb setzte sich in
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