Die Blütenfrau
verantwortlich zu machen.» Nun kam sie mit ihrem Gesicht ganz nah. Sie tat so selbstsicher, so abgebrüht, so unangreifbar. Doch TillmannErb war Psychologe genug, um zu erkennen, wie aufgewühlt diese Frau war. Sie schaute ihm direkt in die Augen. «Aber was mit meiner Kollegin Kerstin Spangemann passiert ist, geht auf Ihre Kappe. Ganz allein auf Ihre. Peter Sendhorst kann ich den Schuss irgendwie verzeihen. Ihnen nicht!»
Die Blondierte zog auf einmal Handschellen hervor, und plötzlich war das Büro voller Polizisten. Sie nahmen ihn fest, ihm wurden die Rechte aufgesagt.
Doch Erb kam es so vor, als passierte das alles wie in einem Traum. Ja, das war alles nur reine Einbildung. In Wirklichkeit saß er schon längst mit seiner Familie im Flugzeug und hob ab Richtung Balearen.
40.
Rote Rosen
Botanischer Name: ROSA SPEC.
Die Blüte, mit der man jemandem sagen kann, dass man ihn liebt
«Bin ich zu spät?», fragte Gernot. Er stand in seltsamer Position im Türrahmen, die Hände versteckt, den verlegenen Blick auf einen Punkt irgendwo zwischen Esstisch und Kühlschrank gerichtet. Er war mager geworden im Krankenhaus. Zahlreiche Knochenbrüche bedeuteten zwei Wochen auf Station, danach vier Wochen Rehaklinik. Nun war er seit einem Monat wieder zu Hause. So langsam ging es ihm besser.
«Nein, die Lasagne braucht noch eine Weile, und Griet kommt auch erst in fünfzehn Minuten von der Schule.»
«Das meinte ich nicht.»
«Sondern?» Esther Vanmeer stellte gerade die Teller auf den Tisch.
«Bin ich zu spät, uns zum Jahrestag zu gratulieren?»
«Jahrestag?», fragte sie, obwohl sie wusste, was er meinte. Seit einem Jahr lebte er nun bei ihnen, na ja, seit einem Jahr und zwei Tagen, wenn man es genau nahm. Esther hatte das Jubiläum zwar im Kopf gehabt, ihn aber nicht darauf angesprochen, weil sie sich nicht wirklich sicher sein konnte, ob dieser Termin für ihn ein Grund zum Feiern war. Sie spülte das Schneidebrett unter fließendem Wasser ab.
«Hast du es eigentlich nur mit Bachblüten?», fragte er jetzt.
«Was ist das denn für eine Frage?»
«Ich meine ja nur …» Langsam nahm er seine Arme nach vorn. Groß war er nicht, der Blumenstrauß, der jetzt zum Vorschein kam, aber sie mussten Geld sparen für den Umzug. Sie hatten beide kurz nach den tragischen Ereignissen beschlossen, das Haus in der Rosenthallohne zu verkaufen und in eine andere Stadt zu ziehen. Nur weit genug weg, das war für alle drei eine gute Perspektive. In zwei Wochen ging es los. Deswegen hatte Gernot das Geld zusammengehalten und nur drei Blumen gekauft. Dafür hatte er sich aber für Rosen entschieden. Rote Rosen.
Esther schluckte.
«Ich … Ich hole eine Vase», stammelte sie. Das meiste an unnützem Kram aus dem Wohnzimmer war bereits in Kartons verstaut. Blumenvasen gehörten auch dazu. Esther konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal Rosen geschenkt bekommen hatte. Sie wickelte eine Glaskanne aus dem Zeitungspapier. Es war eine Ausgabe des Ostfriesischen Kuriers, auf der Titelseite prangte das Gesicht der neu gewählten Ministerpräsidentin. Esther Vanmeers Hände zitterten leicht.
Als sie in die Küche zurückkam, stand Gernot am Fenster. So viel Verlegenheit war in diesem Raum – wie bei frisch Verliebten, dachte Esther.
Es klingelte an der Tür. Erst dachte Esther: Wie schade, gerade jetzt, aber dann erkannte sie durchs Fenster, dass es Wencke Tydmers war. Sie hatte ihren Sohn an der Hand. Komisch, mit diesem Kind an ihrer Seite wirkte sie wie ein ganz anderer Mensch. Sie öffnete gern.
«Wie schön, dass Sie noch Zeit finden, Frau Kommissarin», begrüßte Esther ihren Besuch, und nach kurzem Zögern fiel sie der Frau um den Hals. Wahrscheinlich wusste Wencke Tydmers nicht, wie ihr geschah, aber Esther hatte ihr einiges zu verdanken.
«Das ist Emil», stellte sie ihren Sohn vor, doch der hielt sich nicht lange am Eingang auf, sondern rannte in den Flur, wo ein altes Schaukelpferd stand, auf dem Griet früher einmal geritten hatte.
«Wie geht es Ihnen?», fragte Wencke Tydmers.
«Ganz gut. Wir sitzen auf gepackten Koffern.»
«Genau wie wir», sagte die Kommissarin. «Deswegen wollte ich Ihnen heute auch noch schnell Ihr Buch zurückbringen.» Sie reichte ihr das grüne Bachblütenbuch. Die Lesezeichen steckten an anderen Stellen, sie musste also darin geschmökert haben. Darüber freute sich Esther.
Gernot war jetzt ebenfalls in den Flur getreten und half dem kleinen Jungen auf das Pferd, das
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