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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Welt, nach der sie sich so sehr gesehnt hatte?

23.
    Chestnut Bud (Rosskastanie)
    Botanischer Name: AESCULUS HIPPOCASTANUM
    Blüte für die Lernfähigkeit
     
    Wencke kannte inzwischen fast alle ostfriesischen Inseln. Sogar die Reihenfolge von Ost nach West hatte sie sich mit Hilfe eines Merksatzes endlich richtig eingeprägt: Welcher Seemann Liegt Bei Nanni Jm Bett   – Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist, Borkum.
    Auf Spiekeroog war sie noch nie gewesen. Doch man hatte ihr bereits erzählt, die zweitöstlichste Insel sei die hübscheste. Auf den ersten Blick, der sich Wencke nun vom Schiffsanleger aus bot, war das nicht unbedingt zu bestätigen, denn nichts unterschied sich wesentlich von den anderen sandigen Eilanden am linksoberen Zipfel der Republik. Vieles erinnerte Wencke an Juist: Der Bootshafen mit den privaten Segelbooten zur Rechten, das gedrungene Dorf – ein bisschen verdeckt vom Deich – geradeaus.
    Erst die Schritte ins Inselinnere ließen das Besondere erkennen: Es gab kaum mehrgeschossige Häuser, dafür viele Holzgiebel und noch mehr Bäume. Auf ihrem Weg zur Polizeistation passierten Axel und sie eine entzückende Inselkirche im Ortskern und jede Menge Teestuben. Doch Wencke hatte keine Gelegenheit, dies alles auf sich wirken zu lassen.
    Polizeiobermeister Brockelsen hatte mit dem obligatorischen Handkarren am Hafen gestanden. Und schon während Axel und Wencke ihr spärliches Gepäck auf den Bollerwagen luden, wurden sie von ihrem Kollegen über die wesentlichen Details des Falles informiert.
    Brockelsen war ein dicker, freundlicher Mann mit Vollbart und Brille. Pflichtbewusst und vielleicht auch ein bisschen stolz trug er die grüne Uniform, die man in fast allen anderen niedersächsischen Dienststellen schon längst ausgemustert hatte. Er zeigte ihnen Fotos des verschwundenen Mädchens und seine bisherigen Notizen. Und immer wieder betonte er, dass so etwas hier auf Spiekeroog noch nie passiert sei und dass er sich das alles nicht erklären könne. Als fühlte er sich persönlich verantwortlich, wenn die heile Welt ins Wanken geriet.
    «Marina Kobitzki lebt seit einem Jahr bei uns im Internat. Sie besucht die sechste Klasse der Hermann-Lietz-Schule. Laut Schuldirektor ist sie ein ruhiges Mädchen und spielt gern für sich allein. Deswegen wurde sie zugegebenermaßen auch erst relativ spät vermisst. Erst nach dem Abendessen.»
    «Was ist mit ihren Eltern?»
    «Die sind beruflich ständig unterwegs, derzeit in der Ukraine. Wir haben sie auch erst heute Vormittag informieren können.»
    «Hatte Marina vielleicht Heimweh und ist deswegen abgehauen?», fragte Axel.
    «Das glaubt niemand. Ihre Mitschüler sagen, Marina sei in den letzten zwölf Monaten zu einem richtigen Inselkind geworden. Alle hatten den Eindruck, dass sie froh war, endlich mal an einem Ort bleiben zu dürfen. Die Grundschuljahre musste das Mädchen ständig umziehen. Nein. Marina ist nicht abgehauen.» Ein tiefes Seufzen. «Wir glauben leider, dass ihr etwas anderes zugestoßen sein muss.»
    Wencke kam nicht umhin, Parallelen zwischen Allegra Sendhorst und diesem Mädchen hier zu ziehen. Beide hatten ein instabiles oder konfliktgeladenes Elternhaus. Waren sie dadurch besonders gefährdet gewesen? Zu vertrauensselig, weil sie Kontakt suchten? Zu eingeschüchtert, um sich gegeneinen Angriff zu schützen? Wencke wusste, es gab tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Menschen und der Anfälligkeit, Opfer eines Verbrechens zu werden.
    Sie betraten die kleine Polizeistation. Alles wirkte eng und sehr zweckmäßig, wie diese Diensträume in kleinen Gemeinden so waren. Brockelsen bot ihr und Axel einen Platz an. Nun packte Wencke die mitgebrachten Papiere aus. «Also, wir haben den dringenden Verdacht, dass unser Mordfall in Norden und die Geschichte hier auf Spiekeroog zusammenhängen. Deswegen sind wir gekommen.»
    Brockelsen blickte ernsthaft erstaunt von Wencke zu Axel. «Bislang hatte ich immer noch die Hoffnung, dass unsere Marina zumindest noch am Leben ist   …»
    «In Norden wurde gestern ein dreizehnjähriges Mädchen ermordet aufgefunden.»
    «Ja, ich hab im Radio gehört, wie die Mutter des Kindes euch da in Aurich die Hölle heiß macht. Stimmt doch, oder?»
    Wencke nickte. «Wir wissen, dass Allegra Sendhorst kurz vor ihrem Tod Kontakt zu einem jungen Mann hatte, der normalerweise hier auf der Insel lebt. Soweit wir informiert sind, war er gestern Abend bereits wieder auf

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