Die Blütenfrau
woanders herstammen. Sie ist am rechten Arm. Und Thedinga ist Rechtshänder, darauf habe ich vorhin extra geachtet.»
Axel sagte nichts. Er hob ein altes Brett auf und drehte es um. Ein sinnloses Unterfangen, dachte Wencke, was erhoffte er unter einem dreißig Zentimeter breiten Stück Treibholz zu finden? Seit mehr als einer Stunde suchte er nun schon mit vollem Einsatz, nachdem er die ersten sechzig Minuten eher vor sich hin gegrübelt hatte. Was seinen plötzlichen Motivationsschub ausgelöst hatte, wusste Wencke nicht so genau. War es die Standpauke gewesen, die sie ihm gehalten hatte, als sie ihn dabei ertappte, wie er seiner Kerstin SMS schrieb? Als ob sie hier nicht Wichtigeres zu tun hätten. Oder resultierte sein plötzlicher Eifer aus der Resignation, weil er sich das letzte Schiff und die Nacht im heimischen Bett abschminken konnte? Wencke hatte keine Ahnung, aber auf einmal war Axel wie angestachelt. Er suchte in den unmöglichsten Winkeln und rief in regelmäßigen Abständen den Namen des Mädchens in alle Himmelsrichtungen.
«Du hältst Hanno Thedinga für unschuldig, stimmt’s?» Wencke war aufgefallen, dass sie Axel noch nicht einmal nach seiner Sicht der Dinge gefragt hatte.
«Wenn ich ehrlich sein soll: ja. Diese ganze Sache mit der toten Katze und so. Was beweist das schon? Allegra Sendhorst kann das Tier auch heimlich mitgenommen und dann aus Versehen überrollt haben. Ein Unfall also.»
«Mmh, ein tragischer Unfall, ja? Das klingt natürlich wesentlich plausibler», versuchte Wencke es mit Ironie.
Doch sie wusste, mit ihrer Theorie stand sie auf verlorenem Posten. Nicht zuletzt, weil inzwischen ein Anruf aus Norden gekommen war: Griet Vanmeer wurde seit dem Nachmittag vermisst. Man hatte ihr Fahrrad auf dem Schulweg gefunden. Von dem Mädchen fehlte jedoch jede Spur. Dafür hatte Kerstin eine weitere interessante Entdeckung gemacht: An Griets Sattel waren dieselben Stofffasern aufgetaucht, die man schon bei Allegras Rad gesichert hatte. Grüner Cord.
Ein Stoff, der zugegebenermaßen nicht in die Garderobe eines schnieken Restaurantfachmanns mit Gelfrisur passte. Außerdem besaß Thedinga für den heutigen Tag ein 1a-Alibi, daran gab es keinen Zweifel.
Bei Gernot Huckler sah das anders aus. Brockelsen hatte gemeinsam mit zwei Beamten vom Ordnungsamt sämtliche Vermieter der Insel abgeklappert, und tatsächlich: ein Georg Vanmeer hatte sich in der letzten Nacht in der Pension Michaelis einquartiert, war aber seit dem Frühstück nicht mehr dort aufgetaucht. Die Rechnung stand noch aus, das Zimmer war bis auf eine Reisezahnbürste, eine Minitube Colgate und einen Einwegkamm leer, die Wirtin entsprechend sauer. Die Personenbeschreibung des vermeintlichen Zechprellers passte eindeutig auf Huckler. Genauso eindeutig, wie die Angaben des Internatsleiters passten, der auf seiner Suche am Vormittag einem dunkelblonden Mann begegnet war, ungefähr eins achtzig groß, nicht unsportlich, Dreitagebart und seltsam nervös. Auch bei seiner Frau war Gernot Huckler bislang noch nicht aufgetaucht, zumindest behauptete Esther Vanmeer das.
Alles sah danach aus, als ob der Verdächtige einen kleinen Abstecher auf die Insel gemacht hatte, um dort ein Mädchen verschwinden zu lassen. Und dann musste er wieder in die Heimat gefahren sein, um dasselbe mit seiner Stieftochterzu machen. Wenn diese Vermutung stimmte, dann handelte der Mann tatsächlich Schlag auf Schlag. Jeden Tag ein neues Opfer.
Kein Wunder also, dass die Anfragen der Presse in der Auricher Polizei hartnäckiger wurden. Ute Sendhorst war für den Abend als Gast in einem reißerischen T V-Magazin angekündigt. Thema:
Wie verantwortungsvoll schützt die Polizei unsere Kinder
. Sogar die Chefs in Hannover hatten sich bereits persönlich bei Wencke nach dem Stand der Dinge erkundigt. Der Fall schaukelte sich hoch, und wenn hier auf Spiekeroog tatsächlich ein zweiter Mord passiert war, dann würde der Medien-Supergau seinen Lauf nehmen.
Ob auch Axel von dieser Sorge angetrieben wurde? Hatte er deswegen mit keiner Silbe protestiert, als Wencke entschieden hatte, auf der Insel zu bleiben? In Norden waren alle Kräfte im Einsatz. Selbst die Wasserschutzpolizei war unterwegs, um Griet Vanmeer zu suchen. Es gab also keine Möglichkeit, sich von den Kollegen zum Festland bringen zu lassen. Zudem war laut Meteorologen ein übler Gewittersturm im Anmarsch, der würde aus dem Wattenmeer ein ziemlich ungemütliches Fahrwasser machen.
Wencke nahm es
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