Die Blume der Diener
Stimme von der Treppe her die Stille wie ein Glockenschlag durchbrach: »Sir Andrew Melton ist tot.«
Master Hardy hob den Blick und erkannte den Grünschnabel von Tafelmeister. Er biss die Zähne zusammen und erwartete, puren Zorn auf diesem hübschen, verhassten Gesicht zu sehen. Doch Master Flowers Antlitz war so nachgiebig wie Mandelpudding oder wie der Ausdruck eines guten Höflings. »Ich hoffe, Ihr befindet Euch bei guter Gesundheit, Master Hardy«, sagte er lebhaft. »Seine Majestät haben besonders nach Eurer kenne doree gefragt.«
Am folgenden Tag keuchte und schwitzte die eine Hälfte der Bewohner des Schlosses von Cygnesbury unter dem Fieber und die andere Hälfte keuchte und schwitzte aus Angst vor dem Fieber. Durch dieses Meer von Angst bewegte sich Mistress Rudyard in aller Ruhe zwischen der behelfsmäßigen Krankenstation, der Kräuterkammer und der Wäscherei wie ein großes Handelsschiff hin und her, das mit einer beruhigenden Last aus sauberem Leinen, Gebeten und Kräutern beladen war. Kein Gestank war so widerwärtig und kein Delirium so wild, dass sie eine Bresche in Mistress Rudyards unerschütterliche Ruhe hätten schlagen können. Aber als ihr Sohn Ned zu ihr kam und schrecklich zitterte und vor Schmerzen winselte, ließ sie die Leinentücher achtlos fallen. Sie nahm den Jungen in ihre mächtigen Arme, als ob er noch ein kleines Kind wäre, und trug ihn in ihr eigenes Gemach. Dort badete sie sein Gesicht in Rosmarinwasser, gab ihm Honig und Schlangenkraut zu trinken und rang neben ihm die Hände, während er um sich schlug und stöhnte. Konnte sie es wagen, ihn allein zu lassen? Konnte sie es nicht wagen? Warum hatte sie ihn nicht zu den Mönchen gebracht?
Schließlich kam Mistress Rudyard bis zur Tür, wo sie unschlüssig stehen blieb. Plötzlich richtete sich Ned mit einem tiefen Grunzer auf und kratzte sich so heftig die schwitzenden Arme, als würden unsichtbare Maden darüber kriechen. Mistress Rudyard jammerte laut und floh. Atemlos polterte sie durch die Korridore und über die Hintertreppen, bis sie zur Kräuterkammer kam. Dort traf sie Master William Flower an, der gerade ein Kräuterbuch zu Rate zog, während er eine seltsam riechende Mixtur in einem Becherglas über einer kleinen Flamme anrührte.
Der Anblick dieses hochmütigen Küchenbastards, der gerade namenlose Tränke in Gefäßen zusammenbraute, die sie unbedingt zur Zubereitung von Neds Fiebermittel benötigte, stieg Mistress Rudyard wie ungewässerter Wein zu Kopfe. Sie hob das Becherglas mit bloßen Händen vom Feuer und schüttete dessen Inhalt in die Oubliette. »Unser König mag Euch als rechte Rose ansehen«, keuchte sie und rieb sich die verbrannten Finger, »aber ich sehe in Euch nur Unkraut, William Flower – niederträchtigen, erstickenden Nachtschatten!«
Der Tafelmeister schwieg, warf ihr aber einen so kalten und festen Blick zu, dass sie sich hastig in den Korridor zurückzog. Dort raufte sie sich die Haare und schrie so lange, bis die verbliebenen Küchenjungen und Lehrlinge herbeiliefen, weil sie unbedingt sehen wollten, wer gerade die Oberwäscherin des Königs ermordete.
In ihrem übergroßen Kummer erzählte ihnen Mistress Rudyard mehr als bereitwillig die ganze Geschichte. Master Flower war der Grund für die Pest, behauptete sie; Master Flower besaß Salben und Essenzen, die aus keiner ihr bekannten Kräuterlehre stammten. Selbst jetzt hatte sie ihn dabei überrascht, wie er einen seltsamen und höchst übel riechenden Trank braute. Auch hatte er sie aus der Kräuterkammer gewiesen, während doch ihr einziger Sohn sterbend niederlag und dringend Arznei benötigte. »Wenn Ned stirbt«, schrie sie in die Richtung der geschlossenen Tür, »wird sein Tod auf Master Flowers Haupt herabkommen.« Dann verlangte sie, der König müsse alles über die unnatürlichen Hexereien seines Tafelmeisters erfahren. Unter den erstaunten Blicken der Küchenjungen hastete sie die Treppe zum Privatgemach des Königs hinauf und forderte mit einer Stimme wie eine Alarmglocke, der König möge sie anhören.
Und der König hörte sie wirklich, obwohl seine Garde sich heftigst bemühte, die Oberwäscherin die Treppe hinunterzuschieben. Lionel hatte den Nachmittag damit verbracht, einen Sinn aus Lord Bracktons Plan für ein Handelsabkommen mit Gallimand über Wolle und Leinen herauszulesen. Er musste den Plan Tellemonde in den Mund legen, sodass dieser ihn als seine eigene Schöpfung ansah. Lord Brackton war nicht mit der
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