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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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nicht gut, wenn Frauen lesen lernen. Die Schriften der gelehrten Männer sind zu schwere Nahrung für den Verstand einer Frau, der dazu erschaffen wurde, sich von einfachen häuslichen Angelegenheiten zu nähren.«
    »Jawohl«, sagte Mary plötzlich; ihre kindliche Stimme klang gehässig. »Wie Vater gesagt hat, bist du neunzehn Jahre alt und all dein Kräuterwissen hat dir keinen Mann verschafft. Glaubst du etwa, junge Männer würden blind gegen deine Nachlässigkeit beim Sticken und Flicken, wenn du nur gelehrt wärst?«
    Elinor schaute auf; ihre Lippen waren starr vor Ärger. »Ich möcht schreiben lernen, damit ich Rezepte für Tränke und Salben machen kann. Das sind durchaus häusliche Dinge.«
    Bruder Jerome lachte. »Das sind wahrlich häusliche Dinge und nichts, auf das man geschriebene Wörter verschwenden sollte.« Er streckte die Rechte über die Tafel aus, tätschelte ihre Hand und wischte sich über den Mund zum Zeichen, dass sowohl das Gespräch als auch das Mahl beendet waren.

Kapitel Fünf

    König Lionels Haushofmeister Lord Roylance war der älteste Ratgeber Seiner Majestät; er hatte diese Ehre vor etwa fünfzig Jahren unter der Regierung von Lionels Großvater, König Stephen Ohnegeist, geerbt. Da er schon mehr als achtzig Jahre zählte, tat Lord Roylance inzwischen kaum mehr etwas anderes, als mit dürren Gliedern und eingewickelt in pelzverbrämte Gewänder beim Feuer zu hocken. Die älteren Adligen schworen, er sei früher einmal ein guter Haushofmeister gewesen: genau im Führen der Bücher, ehrlich in seinen Rechnungen und außerordentlich sorgfältig im Umgang mit dem Vermögen seines Herrn. Aber kurz nachdem König Geoffrey den Thron bestiegen hatte, ließ der Verstand des Haushofmeisters nach und wurde so schwerfällig wie ein ungeöltes Mühlrad. Als Geoffrey die zweite Frau auf sein Schloss führte, war der Haushofmeister bereits im Zustand der Senilität versunken.
    Es war gut, dass Königin Constance sowohl eine mächtige Zauberin als auch eine fähige Haushälterin war. Vom Tag ihrer Hochzeit an hatte sie den königlichen Haushalt mit Bannsprüchen und Diplomatie geführt. Bei ihrem ersten Gespräch mit dem Haushofmeister hatte sie eine überwältigende Begeisterung selbst für die kleinsten Details des Haushalts eingestanden, angefangen vom Zustand der Speisekammer bis hin zu den Preisen für Kerzen und Betttücher. Jeden Morgen rief sie Lord Roylance in ihr Turmzimmer, wo er etwa eine Stunde verweilte, ihre Spaniel mit Fleischbröckchen fütterte und mit der Königin über Weine, Mehl und andere häusliche Dinge redete. So treu machte der Haushofmeister König Geoffreys Gemahlin seine Aufwartung, dass dieser bei seinen Kumpanen zu scherzen beliebte, die Königin ziehe als Einzige ihres Geschlechts einen Pantoffeln tragenden Hanswurst einem jungen und kräftigen Gemahl vor.
    Als Königin Constance starb, verwesten all die Zaubersprüche für Sauberkeit und Rattenbann, für Schutz und Ordnung, die sie über das Schloss gelegt hatte, wie ungesalzenes Fleisch. Lord Roylance vertrottelte immer weiter, führte seine Bücher und Konten und sagte andauernd »In den Tagen der guten Königin Constance« und »Wie Ihre verstorbene Majestät zu mir zu sagen pflegte.« Aber selten erinnerte er sich daran, was sie eigentlich gesagt hatte. Derweil regierten sich das Schloss von Cygnesbury sowie Harldon und die kleineren königlichen Häuser in Mayd’s Fayreboyes und Spellingtre so gut wie möglich selbst.
    Bevor die Pest zuschlug, hatte sich das Schloss von Cygnesbury recht gut behauptet und wurde durch die Überbleibsel von Constances Ordnung zusammengehalten, doch Panik und Leid rissen die von ihr gesetzten Schranken ein und bald regierte das Chaos ungehindert. Jeder Adlige auf Besuch schloss sich klugerweise in seinen eigenen Gemächern ein und schickte seine Diener nur auf rasche Ausflüge in die Speisekammer, um kalten Braten für seinen Haushalt zu beschaffen.
    An einem Montagmorgen begab sich William zu den Gemächern des Haushofmeisters; die Korridore und Zimmer, durch die er dabei schritt, waren leer bis auf die vermischten Gerüche von Räucherwerk, Krankheit und Tod.
    Lord Roylances Tür war geschlossen. Der königliche Arzt stand davor und hielt eine mit Gewürznelken gespickte und in ein Essigtuch gewickelte Orange in der Hand. Priesterlicher Gesang tröpfelte aus dem Zimmer.
    Als der Arzt William bemerkte, jammerte er los: »Er war ein alter Mann! Zu alt für Blutegel, habe ich

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