Die Blume von Surinam
seine Liebe zu Hendrik nie mehr als eine heimliche Passion sein würde.
Und wohin hatte ihn das geführt? Jetzt saß er hier im ehemaligen Büro seines Vaters und hatte nicht einmal das Erbe des Kontors ablehnen können. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, seine Schwestern und seine Mutter einer finanziell ungesicherten Zukunft auszuliefern, auch wenn er ihnen gegenüber wenig Liebe empfand. Wim ging gänzlich ohne Enthusiasmus an diese Arbeit, aber er musste – ob er wollte, stand gar nicht zur Debatte. Ihm war klar, dass er in eine Sackgasse geraten war, an deren Ende eine hohe Mauer seinen weiteren Lebensweg versperrte. Seine journalistische Tätigkeit war von seinem Schwiegervater abhängig, er hatte eine junge hübsche Frau an seiner Seite, die aber im Grunde für alle nur Mittel zum Zweck gewesen war und die er auch nicht liebte, geschweige denn begehrte, und deren schwieriger Charakter sich erst nach der Hochzeit offenbart hatte. Und, was am schlimmsten wog, er hatte seinen Liebsten verloren.
Wim stützte den Kopf in seine Hände und fuhr sich dann durch das blonde Haar. Was hatte er nur getan? Er eignete sich weder zum Handelsmann noch zum Ehemann. Sein Vater hatteseinen Plan an ihm verwirklicht, und Wim hatte nicht den Mut gehabt, ihn zu durchkreuzen und eigene Wege zu gehen. Am Ende hatte Hendrik recht behalten: Er war ein Angsthase.
Am Hafen hatte ihn dann die Sehnsucht fortzulaufen einfach überwältigt. Und so hatte er sich nicht nur nach der Möglichkeit, einen Brief nach Surinam zu schicken, erkundigt, sondern wie in Trance gleich auch auf einem weiteren Schiff eine Passage für sich selbst gebucht. Er musste fort von hier, musste sich über einige Dinge klar werden, und vielleicht würde er auf dieser Reise auch zu sich selbst finden. Das konnte er nicht hier in der bedrängenden Enge Amsterdams, wo ihn zudem jeder kannte. Jetzt musste er nur noch seiner Frau Gesine seine Pläne darlegen.
»Du willst wohin? Aber nein, das geht doch nicht … was ist denn mit mir?« Gesine hob anschuldigend die Arme, verdrehte die Augen und sackte in ihrem Stuhl zusammen.
Wim hatte es geahnt. Er warf seine Serviette wütend auf den Teller, während das Hausmädchen Gesine bereits zu Hilfe eilte. Als hätte er nicht schon genug Probleme mit dieser Ehe, trieb Gesines Hang zu Ohnmachtsanfällen Wim fast in den Wahnsinn. Kaum kam ihr etwas ungelegen oder gefiel ihr nicht, kaum erregte etwas ihren Ärger oder ihre Wut, entschwand ihr Bewusstsein.
Leider zeigte sich diese Neigung insbesondere bei gesellschaftlichen Anlässen, wodurch sie jedes Mal sofort in den Mittelpunkt des Geschehens rückte. Denn sobald sie die Augen wieder aufschlug, schaute sie mit einem engelsgleichen Unschuldsblick in die Runde, woraufhin sich von diesem Zeitpunkt an alle um sie bemühten. Besorgte junge Männer eilten herbei, reichten ihr ein Glas Wasser und boten ihre weißen Taschentücher dar, damit sie sich die Stirn tupfen konnte, die Frauen umringten sie und gaben Ratschläge, wie mit solchen Unpässlichkeiten umzugehen sei, und auch Wim wurde jedes Mal umfangreich bemitleidet, weil seine Frau von so zarter Konstitution war. Dabei war Wim sichinsgeheim sicher, dass Gesine keineswegs so zart besaitet war, wie sie zur Schau stellte. Zu Hause war sie eine kratzbürstige Katze, zumindest kam ihm dieses Bild recht häufig in den Sinn. Alles und jeder im Haus musste sich ihrem Willen beugen, und auch Wim bot ihr nur selten die Stirn. Gesine war von Haus aus verwöhnt, verhätschelt, und wenn sie ihren Willen nicht bekam …
Darum machte Wim sich in diesem Moment auch keine Sorgen um Gesine. Das Hausmädchen fächerte ihr Luft zu, und in wenigen Sekunden würde sie die Augen aufschlagen, in der Hoffnung, Wim würde seine Ankündigung zurücknehmen. Das aber hatte er keinesfalls vor. Diesmal würde er an seinem Plan festhalten.
»Aber Wim, das ist eine hervorragende Idee. Gesine hat mir eben berichtet, dass ihr eine umfangreiche Reise in die Kolonien plant. Man sollte sich als Handelsführender wirklich selbst ansehen, woher die Güter kommen. Es wird dem Kontor sehr zuträglich sein, dass du dich selbst um diese Belange kümmerst.«
Wim war überrascht, am Abend im Salon auf seinen Schwiegervater zu treffen.
»Und du kannst nebenbei auch etwas für mich tun: Ich erwarte von dir eine umfangreiche Berichterstattung aus der Kolonie, wir können darüber zum Beispiel eine mehrteilige Serie machen. Man kümmert sich in den letzten
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