Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
ist er aber bestimmt nicht von der Comtesse d’Angoulême.«
»Wer hat ihn denn gebracht?«
»Ein Junge, nicht viel älter als Nicolas. Er schien es sehr eilig zu haben und war schon wieder weg, ehe ich ihm ein Trinkgeld geben konnte.«
»Hast du gesehen, ob das Kind allein war?«, fragte Alix, weil sie es seltsam fand, dass der Junge nicht einmal seine Belohnung abgewartet hatte.
»Es kam mir so vor, als hätte ich einen Schatten hinter den Ställen gesehen.«
»Ach, Bertille, Schatten, die um die Werkstätten herumschleichen, mag ich nicht, wenn Teppiche verschwunden sind!«
»Sapristi!«, rief Bertille erschrocken, »glaubst du etwa, es soll wieder etwas gestohlen werden?«
»Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, Mathias kommt bald zurück. Wo sind die Kinder?«
»Sie sind mit Tania im Stall. Im Gegensatz zu ihrer Schwester liebt Mathilde Pferde.«
Alix hielt den Brief unschlüssig in der Hand, drehte und wendete ihn und versuchte herauszufinden, wer der Absender sein könnte. Schließlich riss sie ihn auf. Der Brief war nicht versiegelt, und jeder hätte ihn lesen können.
Bertille, die neugierig wartete, sah, wie Alix’ Hände zu zittern begannen und sie mit einem Schlag leichenblass wurde. Etwas Schreckliches musste geschehen sein.
»Seltsam«, sagte Alix leise, »irgendwie habe ich geahnt, dass ich so eine Drohung bekommen würde.«
»Was steht denn in dem Brief, meine Kleine?« fragte Bertille ängstlich.
»Es ist ein Brief von Béraude. Kurz, aber eindeutig. Hör selbst.« Und sie begann ihn mit scheinbar ruhiger Stimme vorzulesen. Man musste schon die Bertille sein, um ihre Angst herauszuhören.
Euer junges Glück wird nicht von langer Dauer sein. Wenn Ihr Mathias heiraten solltet, ist es sehr schnell zu Ende. Dann hole ich mir Valentine. Ihr kennt die furchtbaren Qualen, die Euch dann heimsuchen würden. Und glaubt mir, diesmal gibt es kein Wiedersehen! Mag sein, dass ich mir nach Valentine auch noch Mathilde hole. Wie auch immer, ich tauche unter, und kein Mensch kann mich finden. Ihr könnt Euch also nicht an mir rächen. Überlasst mir Mathias, den ich glücklich machen will,
und genießt Eure Mutterfreuden mit Euren Zwillingen. Und versucht nur nicht, mich zu finden. Ich bin nicht mehr da, wo mich Mathias getroffen hat.
»Oh je, was soll denn das nun wieder?«, jammerte Bertille. »Kann dich diese Frau nicht endlich in Frieden lassen!«
Alix seufzte. Ihre Hände zitterten nicht mehr, aber sie war noch immer sehr blass.
»Ich hatte mich schon gefragt, warum es kein Lebenszeichen von ihr gibt. In einem Punkt hatte Mathias recht: Diese Frau ist ihm verfallen, und sie wird mir keine Ruhe gönnen.«
Aufgeregt lief Bertille im Zimmer auf und ab und knetete nervös ihre Kittelschürze. Jetzt waren es ihre Hände, die zitterten.
»Was macht diese Frau eigentlich? Und wo steckt sie?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe mit Mathias nie wieder darüber gesprochen; wir haben das Thema gemieden. Wahrscheinlich war das ein Fehler. Aber die Comtesse d’Angoulême hatte mich so eindringlich vor einem Skandal gewarnt, der nur den Hof alarmieren und Mathilde schaden würde, dass ich nichts in der Hinsicht unternommen habe.«
Als Tania mit den Kindern kam, gab ihr Alix den Brief.
Während Bertille die Zwillinge zum Spielen ins Nebenzimmer brachte, begann Tania zu lesen.
»Oh wie schrecklich!«, stöhnte sie. »Hört das denn nie auf? Mein Bruder ist schon tot, muss sie auch noch sterben, damit Ihr Frieden habt?«
Als Alix schwieg, sagte sie leise:
»Wenn sie jemand töten muss, mache ich das, Dame Alix!«
»Was redest du denn da, Tania? Lass uns lieber überlegen, was wir bis zu Mathias’ Rückkehr unternehmen können. Nach
Felletin werde ich unter diesen Umständen jedenfalls nicht reisen.«
»Was wird dann aus dem Teppich?«
»Maître Bellinois hatte ohnehin bereits mehr als genug Zeit, ihn in seiner Werkstatt fertigzuweben. Ich darf jetzt nicht länger hinter einem Teppich herlaufen, sondern sollte mir lieber einen guten Advokaten suchen, der mich verteidigt. Alles andere eilt nicht; am Allerwichtigsten ist jetzt, dass meinen Zwillingen nichts zustößt.«
»Jesus Maria!«, rief Bertille, die ohne die Kinder zurückgekommen war. »Diese Frau ist eine Katastrophe!«
»Eins ist jedenfalls sicher – sie weiß nicht, dass wir geheiratet haben.«
»Was sie aber sehr bald erfahren könnte!«
Alix vergrub das Gesicht in den Händen und überlegte. Nach wenigen Minuten stand ihr Entschluss
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