Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Schussfäden spannt? Manchmal glaube ich, es wäre besser, ich würde zum Beispiel Kinder hüten. Mein eigenes Kind fehlt mir schrecklich, und nachdem ich keinen Mann mehr habe …«
»Ihr seid noch jung«, unterbrach sie Alix. »Warum heiratet Ihr nicht noch einmal?«
»Nein, das will ich nicht. Guillaume war und ist meine große Liebe. Er war mein Ein und Alles.«
Alix’ Herz schlug heftig. War das Glück wieder auf ihrer Seite? Manchmal ging das Schicksal seltsame Wege.
»Vielleicht habe ich eine andere Arbeit für Euch. Dabei würdet Ihr außerdem mehr verdienen, vorausgesetzt Ihr seid dafür geeignet.«
Die junge Frau schien sich zu entspannen, ein Freudenschimmer huschte über ihr Gesicht, und sie atmete erleichtert auf.
»Könnt Ihr heute Abend zu mir nach Hause kommen? Ich würde das erst gern mit meiner alten Haushälterin besprechen, die sich um meine Töchter kümmert.«
Jetzt strahlte die Fremde vor Dankbarkeit und drückte Alix die Hand.
»Wie heißt Ihr?«
»Léone.«
»Dann bis heute Abend, Léone.«
Bertille fand Léone sehr angenehm, gepflegt, höflich und wohlerzogen. Pierrot hatte nur Augen für sie; Léone sah ihn aber kaum an. Die Zwillinge plapperten miteinander und interessierten
sich nicht weiter für die Frau, mit der sich ihre Mutter auf der Türschwelle unterhielt.
»Ich bin in der Werkstatt und im Kontor sehr beschäftigt und manchmal auch auf Reisen und habe nicht genug Zeit, mich um meine Töchter zu kümmern. Deshalb biete ich Euch die Stelle als Kinderfrau an, mit einer Probezeit, damit Ihr seht, ob es das Richtige für Euch ist.«
»Wie viel Zeit gebt Ihr mir?«
»Eine Woche, würde ich sagen. Wenn Euch die Stelle nicht zusagt, sehe ich mich nach jemand anders um, sobald mein Mann zurück ist.«
»Euer Mann! Ihr seid verheiratet?«
»Ja, er kommt in einigen Tagen aus Brüssel zurück, spätestens in einer Woche.«
Sie nahm Léone am Arm und führte sie ins Haus.
»Aber keine Angst. Sollten meine Töchter nicht mit Euch zurechtkommen oder umgekehrt, gebe ich Euch noch eine Chance in meiner Werkstatt.«
»Oh, wie soll ich Euch nur danken! Das hätte ich nie zu hoffen gewagt.«
»Schon gut, jetzt sollt Ihr die Kinder erst mal kennenlernen.«
Als sie hereinkam, musterten sie die Zwillinge kurz, sagten aber nichts. Mathilde spielte sofort mit ihrem kleinen Holzpferd weiter, und Valentine sah Nicolas an, der ihr eine Stoffpuppe mit blauen Porzellanaugen hinhielt.
Die Fremde sah den Kindern lange zu, ehe sie ein Päckchen aus der Tasche ihres weiten Rocks holte und es den Kleinen reichte.
»Bitte, das ist für euch.«
»Was ist das?«, wollte Valentine wissen und nahm das Päckchen.
»Ehe du es aufmachst, musst du dich erst bedanken, Valentine«, tadelte sie die Mutter. »Außerdem ist es auch für deine Schwester.«
Valentine kicherte, schüttelte ihre kastanienbraunen Locken und reichte das Päckchen Mathilde.
»Da, schau mal.« Und zu der unbekannten jungen Frau sagte sie brav: »Vielen Dank, Madame.«
Mathilde schüttelte den Kopf und wollte das Päckchen nicht nehmen.
»Du sollst es aufmachen. Ich spiel’ mit meinem Pferdchen.«
Also öffnete Valentine mit ihren geschickten kleinen Fingern – Alix sagte immer, sie wären wie geschaffen für die Arbeit am Hochwebstuhl – vorsichtig das Paket. Zum Vorschein kam ein bunter Kreisel, den sie sofort Nicolas gab.
»Du sollst ihn drehen«, befahl sie ihrem kleinen Freund, der ihr jeden Wunsch erfüllte.
»Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen«, meinte Alix.
Léone seufzte, sah den Mädchen zu und sagte leise und ein bisschen traurig: »Der Kreisel hat Simonin gehört, meinem Sohn. Er ist das Einzige, was ich von ihm behalten habe, aber der Anblick tut mir so weh, dass ich ihn nicht mehr sehen will. Eure Töchter werden ihre Freude daran haben, auch wenn ich die Stelle nicht bekomme.«
»Ihr bekommt sie, das ist so gut wie sicher. Nicht wahr, Bertille?«
»Ja, wenn du meinst.«
Léone merkte, wie wichtig Alix das Urteil der alten Haushälterin war, und war sehr froh, dass sie ihre Zustimmung gefunden hatte.
»Ich hoffe sehr, dass ich Euren Töchtern gefalle«, sagte sie, »das ist mein größter Wunsch.«
»Meiner auch, ja, meiner auch«, sagte Alix leise, um dann etwas fröhlicher zu fragen: »Habt Ihr Gepäck, Léone?«
»Ach, nur ganz wenig.«
»Dann bringt es morgen mit. Ich zeige Euch das Zimmer, in dem Ihr mit meinen Töchtern wohnen werdet. Ihr dürft sie nie allein lassen, weder am
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