Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
hatte.
»Ja, was will sie nur?«, fragte auch Francesca.
Gott im Himmel! Beim Anblick ihrer hilflosen kleinen Tochter, wie sie da am Hals des Maultiers hing, überfiel Alix Panik, und vor lauter Angst wusste sie nicht, was sie sagen sollte.
»Wir können doch über alles reden!«, rief sie schließlich. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Was wollt Ihr?«
»Was ich will, schönes Kind! Ich will deinen Mathias.«
»Wir sind aber verheiratet«, stöhnte Alix.
»Jag ihn fort. Sag ihm, du liebst einen anderen. Dann kommt er zu mir zurück, und du kriegst deine Tochter wieder. Solltest
du dich weigern, werfe ich sie in die Grube, wo sie jämmerlich ertrinken muss. Und der anderen ergeht es nicht besser.«
»Sie ist wirklich vollkommen verrückt«, murmelte Mario.
»Mama! Wo ist Nicolas?«, schrie Valentine.
Wenn ihre Tochter nach Nicolas verlangte, konnte sie kein anderer beruhigen. Das war noch genauso wie früher, wenn sie ihre Anfälle gehabt hatte.
Béraude versuchte das Kind in die Grube zu stoßen, und Valentine brüllte vor Angst. Plötzlich sah es so aus, als würden Gut und Böse gegeneinander antreten. Es war beinahe wie auf dem wunderbaren großen Wandteppich Apokalypse. Der Kampf zwischen Engel und Teufel, zwischen Feuer und Wasser!
Baptiste tauchte genau in dem Moment hinter Béraude auf, als die sich umdrehte. Sie sah ihn auf sich zukommen und packte wieder das kleine Mädchen, das sich zwar heftig wehrte, aber keine Chance gegen diese teuflischen Kräfte hatte und nur noch lauter schreien konnte. Das schöne apokalyptische Ensemble zerfiel – Baptiste konnte unmöglich wie der heilige Michael den Drachen besiegen.
Fougasse war schon immer sehr mutig gewesen – mehr als Amandine. Das hatte sich auch mit den Jahren nicht gegeben. Wohl aus Wut darüber, dass Valentine ihren Hals loslassen musste, verpasste sie Béraude einen kräftigen Stoß mit dem Kopf und warf sie um. Und ein zorniges Maultier ist nicht zu bremsen. Es bockt, schreit und wiehert. Fougasse wollte nur noch eins: Die weichen warmen Ärmchen von Valentine an ihrem Hals spüren.
Béraude war einen Fingerbreit vom Abgrund zum Liegen gekommen und versuchte jetzt aufzustehen, aber die Angst tat ihr Übriges. Panisch bemüht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, sah sie sich von Amandine und Fougasse umzingelt, die wütend
mit den Hinterhufen nach ihr ausschlugen. Béraude taumelte und schrie, und das Schicksal griff nach ihr.
Baptiste hatte sich eben bis zu ihr vorgekämpft und erlebte ihren Sturz aus nächster Nähe. Die anderen sahen aus der Entfernung zu. Man hörte ein Kreischen und lautes Schreien, dann war es auf einmal still. Die Pestbrühe musste sie sofort erstickt haben, weil kein Laut mehr zu hören war.
Béraude hatte ihre verdiente Strafe bekommen. Eine Frau mit kriminellen Instinkten, die Kinder geraubt und in ihrem fürchterlichen Leben vielleicht noch mehr verbrochen hatte, was dieses traurige Ende rechtfertigte.
Valentine hatte sich in die Arme ihrer Mutter gestürzt, die sich nach und nach von dem Schock erholte. Aber ihr Herz schlug noch immer wie verrückt. Sie drückte ihr weinendes Kind an die Brust und beruhigte sich ein wenig, aber die alten Färbergruben würden sie noch lange in ihren Träumen verfolgen.
Baptiste und Mario saßen wieder auf ihren Mulis; Pierrot war auf Fougasse geklettert und führte Amandine an der Leine. Gemeinsam verließen alle den Ort des Schreckens und ritten langsam den Hügel hinunter.
Den jungen Leuten saß der Schreck noch in den Knochen, und sie waren ganz still. Alix glaubte, sie sei ihnen eine Erklärung schuldig, und sagte: »Diese Frau hat mir auch schon Valentines Zwillingsschwester geraubt.«
»Was! Sie hat Euch schon ein Kind geraubt?«, rief Francesca entsetzt.
»Ja, als ich die Zwillinge zur Welt brachte, hat sie die Erstgeborene entführt. Wahrscheinlich hatte sie nur nicht genug Zeit, sonst hätte sie mir auch meine Kleine geraubt.«
»Dann hat sie es nicht anders verdient«, meinte Baptiste kopfschüttelnd.
Alix war der gleichen Meinung. Aber sie hatte das Gefühl, ihre neuen Freunde hätten ein Recht darauf, mehr zu erfahren, und während sie ihre kleine Tochter fest in den Armen hielt, erzählte sie ihnen die ganze Geschichte.
Sie erzählte von den wunderbaren Kunstwerken, die sie in Florenz gesehen hatte, von den berühmten Malern, denen sie begegnet war, von Rom und vom Vatikan und beendete ihre Geschichte mit den Kanonen vor Bologna.
Auf dem
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