Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Cousin, dafür verfügte der magere Baptiste über ungeahnte Kräfte. Scheinbar mühelos trug er eine große Ladung Brennholz auf dem Rücken.
Oben auf dem Hügel entdeckten sie Amandine und Fougasse an einen kahlen Baum gebunden. Die beiden wieherten vor Freude, und als Alix sie losmachte, schien es so, als wollten sie ihr den Weg zeigen, der zu des Rätsels Lösung führte.
»Wo ist mein Kind, meine kleine Valentine?«, schluchzte Alix. »Was habe ich nur verbrochen, dass mich der Himmel so straft?«
»Wir finden sie wieder«, versprach ihr Baptiste, und was er versprach, konnte er immer halten. Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, legte er das Holz, das er gesammelt hatte, unter einen Baum, wo er es später holen wollte.
»Hoffentlich ist es nacher nicht weg«, meinte er.
»Ruhig, Byzance, ganz ruhig. Ich kann dich nicht mehr halten. Oh Gott, ich glaube, ich falle!«
Wieder musste sie Pierrot festhalten, weil sie sonst vom Pferd gestürzt wäre.
Als Mario merkte, dass Pierrot nicht richtig reiten konnte, schlug er ihm vor zu tauschen: »Wenn Ihr wollt, kann ich das Pferd reiten.« Pierrot nahm Marios Muli, und Mario setzte sich zu Alix.
»Haltet Euch an mir fest und habt keine Angst – wir finden Eure Kleine, das verspreche ich.«
Alix verschwomm alles vor den Augen, sie wusste kaum noch, wo sie war, spürte aber, dass da ein anderer als Pierrot bei ihr war, weshalb sie sich zusammenreißen wollte. Doch der Gedanke an die Gruben erfüllte sie sofort wieder mit Grauen.
Angeführt von Francesca und Byzance erklommen die Maultiere eins hinter dem anderen den Hügel, und bald stank es so ekelerregend, dass sich alle die Nase zuhalten mussten.
»Halt! Keinen Schritt weiter!«
Eine Frau fuchtelte vor ihnen herum. Eine Verrückte? Oder war das Béraude? Die Jungen und Francesca sahen sich nach Alix um, die sich offenbar gefasst hatte. Beim Anblick von Valentine
in den Armen dieser Irren funktionierte ihr Verstand plötzlich wieder messerscharf.
»Geht nicht weiter«, flüsterte Baptiste, »diese Frau scheint zu allem fähig.«
Béraude – denn sie war es tatsächlich – stand direkt vor einer mehrere Meter tiefen Grube, in der eine dicke, schwarze, stinkende Brühe schwamm.
»Valentine!«, schrie Alix.
»Einen Schritt weiter, und ich werfe das Kind in dieses widerliche Loch.«
Valentine versuchte sich loszureißen, weil sie die Stimme ihrer Mutter erkannt hatte, und rief verzweifelt »Mama«.
»Halt den Mund!«, herrschte Béraude sie an, »sonst werfe ich dich in die Drecksbrühe da unten, wo du dann verfaulen wirst.«
»Valentine, mein Liebling, hab keine Angst! Wir sind gleich bei dir.«
Instinktiv schickte Alix Amandine und Fougasse zu Valentine, ohne zu wissen, wie sie ihr helfen sollten.
Béraude gab dem Mädchen einen Stoß. Hätte sich Valentine nicht im letzten Augenblick an den Hals von Fougasse geklammert, wäre sie unweigerlich in die Grube gestürzt. Das Muli schlug heftig nach der Frau aus und machte ein paar Schritte rückwärts. Amandine stellte sich direkt vor den Abgrund, als wollte sie – auf die Gefahr hin, selbst zu fallen – verhindern, dass ihre Freundin mit dem Kind hineinrutschte.
Béraude sah sich kurz um und entdeckte außer Pierrot noch ein Mädchen und einen Jungen, die sie nicht kannte. Die beiden beobachteten sie von Weitem, zitternd vor Angst, die offenbar verrückt gewordene Frau könnte das Kind in die Grube stürzen.
Was sie nicht sehen konnte, war Baptiste, der um den Hügel
gelaufen war, um sich von hinten anzuschleichen. Als Alix begriff, dass jetzt alles von ihm abhing, wäre ihr beinahe das Herz stehen geblieben.
Sie war vom Pferd gestiegen und hielt sich an Pierrot fest, der aufmerksam Baptistes Anschleichmanöver beobachtete und plötzlich eine Idee hatte.
»Sie muss glauben, dass wir nur zu viert sind«, sagte er leise, »und wir müssen sie ablenken. Sagt etwas zu ihr, Dame Alix.«
Alix holte tief Luft und rief: »Was wollt Ihr?«
»Was ich will!«, höhnte Béraude. »Ich will Eure Tochter in die Grube hier werfen.«
»Mama!«, rief das kleine Mädchen, das sich noch immer verzweifelt an den Hals von Fougasse klammerte, die sie nicht hergeben wollte. Zusammen mit Amandine bildete sie eine Mauer vor dem Abgrund.
»Halte durch, Fougasse! Bitte, ich flehe dich an, halte durch!«, flüsterte Alix voller Angst.
»Was will sie nur?«, fragte Pierrot, entsetzt über den Wahnsinn der Frau, die er eben noch so schön und anmutig gefunden
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