Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
fehlten noch. Einige Räume auf der Rückseite, direkt über den zerstörten Türmen, schienen bewohnbar.
»Jetzt wisst Ihr, warum ich mich so oft in Florenz aufhalte«, sagte Charles stolz. »Das Château de Chaumont, der Familiensitz derer von Amboise, wird das erste in Frankreich sein, das ganz im Stil und im Geist der Renaissance neu entsteht. Wir lassen die Schießscharten verzieren und bringen aus Stein gehauene Gesimse, Rankenornamente und Rosetten an. Das Schloss bekommt große Fenster und breite Treppen, die zu allen Räumen führen. Ich beschäftige ausschließlich Architekten und Bildhauer aus Italien.«
Alix bewunderte das beeindruckende Ensemble, das unter den geschickten Händen von Steinmetzen, Schreinern, Zimmerleuten, Glasern und Kunstschmieden, von denen jeder seinen Teil zum Gelingen beitrug, Gestalt annahm.
»Ostturm und Ostflügel erinnern noch an die Kriege von früher, aber der gegenüberliegende Flügel bekommt große Fenster und ist der puren Lebensfreude gewidmet«, erklärte Charles enthusiastisch.
»Irre ich mich, oder wohnt hier zur Zeit kein Mitglied Eurer Familie?«, fragte Alix.
»Das ist schlecht möglich.«
»Ich nehme an, das gilt nicht für Eure Frau, die jeden Moment unerwartet auftauchen kann, wenn Ihr Euch hier aufhaltet.«
Er antwortete nicht, sondern sah sie nur lange wortlos an.
»Überwacht sie Euch?«, wollte Alix jetzt wissen und lächelte ihn an.
Vor Wut über diese Frage packte er sie unsanft an den Schultern, und seine Augen blickten in einer gefährlichen Mischung aus Wut und Gier plötzlich finster. Sein Verlangen, sie auf der Stelle zu besitzen, machte ihn gewalttätig. Er stieß sie gegen eine unfertige Mauer, die ihnen nur bis zum Kopf reichte, und drückte die zarte Person mit seinem ganzen Gewicht dagegen.
»Seid nicht so grob«, sagte sie leise. »Das passt nicht zu Euch.«
Vergeblich versuchte sie sich zu befreien, aber er ließ nicht locker.
»Und Ihr seid nicht so gemein. Das würde mich enttäuschen.«
»Es tut mir leid.«
Sofort ließ er sie los. Alix wollte das Thema wechseln, rieb
sich die Schultern und sagte vollkommen unbefangen: »Die Mauer, gegen die Ihr mich da gedrückt habt, ist ziemlich rau. Wurde dieses Schloss auch auf Befehl König Ludwigs XI. geschleift?«
Charles seufzte, bemühte sich, ein freundliches Gesicht zu machen, und begriff plötzlich, dass Alix nicht zu der Art Frauen gehörte, denen er bisher den Hof gemacht hatte. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den Damen des Hochadels, die nach übertriebener Höflichkeit und nicht enden wollender verliebter Galanterie verlangten, nicht mit den Kurtisanen aus gutem Hause, die alles bedachten, erwogen und planten, und erst recht nicht mit den wenig tugendhaften Mädchen auf der Suche nach dem schnellen Glück.
Jetzt wusste er, dass Alix zu den Frauen gehörte, die viel Liebe geben, aber das Leben nehmen, wie es kommt, und nicht im alltäglichen Einerlei versinken wollen. Er verstand jetzt, dass sie die Liebe, die er ihr bot, in vollen Zügen genießen wollte, um Alessandro zu vergessen, aber dass zu einer anderen Zeit jeder wieder seiner eigenen Wege gehen würde.
Was er aber noch nicht ahnen und erst recht nicht einschätzen konnte, war ihr dringendes Bedürfnis nach einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Beruf und Liebesleben. Genau wie Alessandro, ehe er Alix kennengelernt hatte, wusste Charles überhaupt nichts von dieser Art Frauen, die lieben und gleichzeitig hart arbeiten konnten.
Weil er Alix sehr gern mehr für den Umbau seines Schlosses interessieren wollte, deutete er auf eine Stelle im Mauerwerk, an der nur einige Steinhaufen davon zeugten, dass dort neue Mauern hochgezogen werden sollten.
»Ja, das geschah auf Befehl Ludwigs XI. Die Baugerüste, die
fehlenden Dächer und die ganzen Männer, die hier auf Anordnung der Vorarbeiter zugange sind, sind der beste Beweis. Wie Ihr seht, führe ich nach meinem Vater und meinem Onkel den vollständigen Wiederaufbau des Schlosses fort. Mein Großvater Hugues d’Amboise, Gott habe ihn selig, darf stolz auf seine Nachkommen sein. Ich werde den Südflügel und die drei dazugehörigen Türme wieder aufbauen lassen. Ja, und ich lasse die großen Türme mit den Wachttürmchen wieder erstehen, gebe ihnen aber eine neue Leichtigkeit, die sie vorher nicht hatten.«
Er nahm ihre Hand und führte sie weiter. Hand in Hand betraten sie das Wohngebäude, in dem sich tatsächlich nur wenige bewohnbare Räume fanden. Außerdem gab
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