Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
ihre und unsere Familie entzweit. Ich glaube kaum, dass Constance ihrer Mutter von unserer Begegnung in Florenz erzählt hat.«
»Dann muss es ja etwas Ernstes gewesen sein.«
»Ja, es ging um die Ehre von Isabelle de La Trémoille.«
Alix schien überrascht. Ihre Cousine war nie sonderlich gesprächig, wenn man auf ihre Familie zu sprechen kam.
»Mit Constance reden wir nie über Isabelle. Sie hat ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter.«
»Seit die Comtesse de La Trémoille Streit mit einem von uns hatte, ist sie mit unserer Familie verfeindet.«
»Und worum ging es bei diesem Streit?«
»Bitte, schließlich handelt es sich um die Familie meines verstorbenen Mannes, also auch um meine«, bat sie, als er zögerte, »ich muss das wissen.«
»Isabelle war noch jung. Sie hatte gerade Julien de La Trémoille geheiratet, den besten Freund von Etienne d’Amboise, einem meiner Onkel. Es hieß damals …«
»Was hieß es?«, fragte Alix nach, weil Charles wieder zögerte.
»Es hieß, Etienne d’Amboise hätte sie gezwungen, seinem Drängen nachzugeben, und dass ihr Sohn, der später Ordensbruder wurde, von ihm sei. Seitdem will sie mit keinem d’Amboise mehr etwas zu tun haben.«
»Weiß Constance davon?«
»Woher soll ich das wissen?«
Alix seufzte und deutete plötzlich nach vorn.
»Ist das schon Euer Besitz?«
Die hohen Türme von Chaumont mit den Wachttürmchen konnte sie nicht sehen, weil sie längst zerstört waren, aber ein Rest des imposanten Schlosses beherrschte noch die Landschaft darum herum, vor allem auch, weil Pierre d’Amboise vor beinahe zehn Jahren mit dem Wiederaufbau begonnen hatte.
»Wir befinden uns hier genau an der Grenze zwischen der Touraine und dem Blésois«, sagte Charles und zeigte nach links.
»Lasst uns ein Stück in diese Richtung reiten. Ich möchte Euch ein paar wunderbare Plätze zeigen, mit die schönsten der ganzen Gegend.«
Sie wagten sich bis zu einer Stelle, an der das Gelände sanft abfiel. Hier wand sich der Fluss anmutig und beinahe wollüstig inmitten der geometrischen Linien auf den brachliegenden Feldern und der skelettartig kahlen Bäume. Bächlein und Flüsschen sammelten sich und übergaben ihm ihr Schwemmgut, mit dem er dann im Frühling die Gemüsegärten nährte. Und über allem herrschte die liebliche Ruhe des Anjou, die schon so viele Dichter besungen haben und von der so viele kleine Lehnsherren träumten, weil sie sich gewünscht hätten, ihr Besitz läge dort.
»Wollen wir absitzen, Alix?«
Nachdem sie die Pferde angebunden hatten, gingen sie ein paar Schritte. Dann nahm er sie in den Arm, wie er es schon in Blois auf der Straße getan hatte, als sie die ausgelassen feiernde Menge buchstäblich über den Haufen gerannt hatte. Hier war es aber ganz anders als in dem Gasthaus, es fehlte das spöttische Lachen des Wirts, der es gewohnt war, heimliche Liebschaften zu decken, es gab kein starkes Bier, das einem den Kopf verdrehte, nur Ruhe und Frieden. Kein Windhauch kam vom Himmel, und der hart gefrorene Boden knischte nicht einmal unter ihren Füßen.
Noch enger zog er sie an sich, und sie ließ es sich wortlos gefallen, obwohl sie wusste, dass diese kleine Eroberung viel weiter führen würde. Warum verspürte sie nicht das Bedürfnis sich loszureißen, sich zu wehren, wegzulaufen, wie sie es in dem Gasthaus getan hatte? In diesem Augenblick begriff Charles, dass sie entschieden hatte, sich die flüchtige Liebe zu gönnen, die er ihr anbot.
Irgendwo krächzte ein Rabe, ein anderer antwortete ihm. Charles nahm ihr Gesicht in seine Hände, und während Alix diesmal alles um sich herum vergaß, küsste er sie.
Erst als ein Pferd wieherte, ließ er sie wieder los.
»Lass uns aufs Schloss reiten, es ist nicht mehr weit«, sagte er.
Sie näherten sich dem Schloss von seiner imposanten steilen Seite. Die Instandsetzungsarbeiten auf Chaumont waren tatsächlich in vollem Gange, und mit den vielen Gerüsten erinnerte es fast an den Bau einer Kathedrale.
Vor dieser erstaunlichen Mischung aus mittelalterlicher Pracht, alten Steinen, Aufbruchstimmung und großem Durcheinander stiegen sie ab und gingen zu Fuß weiter, die Pferde führten sie am Zügel neben sich.
So gelangten sie mitten hinein in ein unbeschreibliches Chaos aus Mauern, die hochgezogen wurden, Steinhaufen, Wasserfässern, Planken, Seilen und Laufrollen. Die Fassade war ohne Dach, nur der Südbau und ein Teil des Nordflügels waren zur Hälfte gedeckt, aber die Dachziegel
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