Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
hatte sie lange genug selbst Millefleurs gewebt, weshalb ihr alle Stärken und Schwächen dieser Schule vertraut waren und sie das Weben von Millefleurs bis ins kleinste Detail beherrschte. So kannte sie den Unterschied zwischen einer stilisierten und einer erfundenen Blume oder einer natürlichen Pflanze und einer, die der künstlerischen Phantasie entsprungen war. Hier konnte ihr keiner etwas vormachen, die Millefleurs waren ihr Metier. Alix hatte sie schätzen gelernt und ihre Kenntnisse darüber um andere Formen der Darstellung, der Aufteilung und der Zusammenstellung erweitert und bereichert.
Diese Szenen aus dem höfischen Leben waren ein prachtvolles Ensemble, eine perfekte Komposition aller Elemente, die sie selbst bereits eingesetzt hatte. Dank der reichlichen Verwendung von Seidenfaden schillerten die Farben sehr schön, die Gesichtsausdrücke der Figuren waren anrührend, wie aus dem Leben gegriffen, und die festlichen Gewänder schienen in schweren, glänzenden Falten zu fallen.
»Diese Teppiche sind wahre Meisterwerke«, murmelte Alix und wollte sie sich noch genauer ansehen, als ein magerer Mann in einem dicken braunen Wollumhang mit kleinen Schritten auf sie zugeeilt kam.
»Ich heiße Euch willkommen, Seigneur d’Amboise«, begrüßte er Charles.
»Danke, leider kann ich nur wenige Tage bleiben«, antwortete Charles und drückte dem Weber herzlich die Hand.
»Das ist der Webermeister, der die Leitung von diesem großen
Auftrag hat«, erklärte er Alix. »Ich habe ihm bereits von Euch erzählt, und er kennt Eure Werkstätten und Eure Teppiche.«
»Und schätzt sie auch sehr«, ergänzte der Weber und musterte Alix eingehend. »Leider, leider habe ich hier nur sieben Arbeiter, von denen jeder an einem Teppich arbeitet, und wir müssen bald zurück nach Felletin, wo ich meine eigene Werkstatt habe.«
»Das ist allerdings sehr ärgerlich«, pflichtete ihm Alix bei, »vor allem, wenn die Teppiche bald ausgeliefert werden sollen.«
»Nein, nein!«, mischte sich der Herzog ein, »das ist kein Problem, weil ich die Teppiche in Auftrag gegeben habe und sie für mein Schloss hier bestimmt sind. Leider sieht es aber so aus, als könnte es bis zur Fertigstellung des Ensembles noch Jahre dauern, und ich habe schon sehr viel investiert.«
Der Weber zappelte unruhig hin und her, weil er die vage Hoffnung hatte, das Gespräch könnte endlich zu einer Lösung führen.
»Wie Ihr seht, brauchen wir Unterstützung«, erklärte er Alix, »wollen uns aber nicht von den Webern aus dem Norden helfen lassen. Diese Wandteppiche sollen nämlich als typisches Erzeugnis des Val de Loire erkennbar sein.«
»Das kann ich sehr gut verstehen«, meinte Alix. »Die Teppiche sind wunderschön, darum ist es wichtig, dass sie mit der Signatur des Val de Loire versehen werden. Trotzdem handelt es sich dabei um eine Wiederverwendung. Wollt Ihr sie deshalb lieber auf Chaumont statt in Flandern fertigstellen?«
Der kleine Mann hatte verärgert die Stirn gerunzelt und gab etwas schroff zur Antwort: »Die Vorlagen gehören uns. Und die Zeichnungen sind weder typisch flandrisch, noch stammen sie von einem bestimmten Künstler.« 8)
»Mit einer Ausnahme!«, widersprach Alix und lächelte, als sie beide Männer erstaunt ansahen.
»Wie meint Ihr das?«, fragte der Weber und kam näher.
»Bei dem Aufbruch zur Jagd verwendet Ihr eine Figur, die Euch nicht gehört.«
»Welche soll das sein?«, fragten beide einstimmig.
»Der Hellebardier auf der rechten Seite. Er stammt aus einer Gravur des Malers Dürer.«
Sichtlich zufrieden beobachtete Alix die Verwunderung auf ihren Gesichtern. Hatte man sie etwa für eine Anfängerin gehalten ? Sie würde ihnen noch zeigen, dass sie viel mehr wusste, als sie ahnten.
»Ich fürchte, da täuscht Ihr Euch, Dame Cassex«, verteidigte sich der Weber mit einem gezwungenen Lächeln.
»Und ich versichere Euch, dass ich die Wahrheit sage.«
»Wie wollt Ihr das ohne Beweise behaupten?«
»Ich kann es Euch versichern, weil ich Dürer in Flandern persönlich kennengelernt habe. Er war ein guter Freund meines Schwiegervaters, Maître Pierre de Coëtivy.«
Das Wort »persönlich« war Alix wichtig gewesen, aber sie hatte den beiden Männern natürlich nicht sagen können, dass sie früher in eine Verleumdungsklage verwickelt worden war, die sie nur schwer beschädigt überstanden hatte. Und genauso wenig konnte sie ihnen anvertrauen, dass die Leute, die sie zu Unrecht angeklagt hatten, eben dieser Dürer
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