Die blutende Statue
Posten. Von da an hatte er keine Gelegenheit mehr, einen neuen Betrug durchzuführen. Von den fünfzehn Millionen Dollar, die ihm vierzigtausend leichtgläubige amerikanische Anleger ein paar Jahre zuvor anvertraut hatten, war ihm nichts mehr geblieben und er starb bettelarm.
Pech in der Liebe
Am Morgen des 23. Dezember 1962 drängten sich die Leute im Hafen von Le Havre und warteten auf den Passagierdampfer »Sainte-Marie« aus Martinique. Die bunte Menge bestand hauptsächlich aus Antillianern, die einen Verwandten oder Gatten abholen wollten, der über die Weihnachtstage nach Frankreich kam. Jean-Louis Collard war kein Antillianer. Er wohnte in Paris und war eigens angereist, um auf die »Sainte-Marie« zu warten. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren war Jean-Louis ein gut aussehender junger Mann und in dem neuen Mantel, dem gut geschnittenen Anzug und der schillernden Krawatte sah er besonders vorteilhaft aus.
Endlich legte die »Sainte-Marie« an. Jean-Louis lächelte. Es war ihm egal, dass er seine letzten Spargroschen für die Kluft geopfert hatte. Als Angestellter bezog er zwar kein großes Gehalt, aber Caroline war dieses Opfer wert. Sie war jedes Opfer wert. Jean-Louis Collard legte eine Hand auf die linke Jackentasche, genau über dem Herzen, und zog das Foto einer jungen Frau um die zwanzig heraus. Die große, schlanke Blondine posierte darauf in einem atemberaubenden Bikini. Hatte er etwa Angst, sie nicht zu erkennen, wenn sie gleich die Landungsbrücke herunterkam? Caroline war doch unvergesslich, selbst wenn man sie nur ein einziges Mal auf einem Foto gesehen hatte.
Vor zwei Monaten hatte er auf eine Kleinanzeige in einer Pariser Abendzeitung geantwortet: »Mädchen aus Martinique, zweiundzwanzig, möchte Mannequin werden, sucht Brieffreundschaft mit Pariser zwischen fünfundzwanzig und dreißig zwecks Heirat.« Jean-Louis hatte geschrieben und einige Tage später eine Antwort erhalten zusammen mit dem Foto, das er im Moment in der Tasche trug. Caroline Ligier — so hieß sie — hatte auf ihre Annonce hin viel Post erhalten, doch sie hatte nur mit ihm korrespondiert. Jean-Louis war nämlich genau ihr Typ.
Im Lauf der Tage und Wochen war der Briefwechsel immer liebevoller geworden. Anfang Dezember traf Caroline dann ihre Entscheidung, sie wollte zu ihm nach Frankreich ziehen. Nur gab es da ein Problem. Ihr fehlten nämlich fünfhundert Franc für die Reise. Obwohl Jean-Louis nicht gerade im Geld schwamm, schickte er ihr sofort die verlangte Summe, und zwar in bar, wie sie es verlangt hatte. Vor einer Woche kam dann endlich der heiß ersehnte Brief: »Treffe ein am 23. Dezember mit dem Dampfer Sainte-Marie in Le Havre.«
Als der Landesteg ausgelegt wurde, gab es ein Geschiebe. Jean-Louis Collard musste mit den Ellbogen arbeiten, um nicht abgedrängt zu werden. Die ersten Passagiere verließen das Schiff. Der junge Mann ließ die Menschenschlange, in der in wenigen Minuten sein himmlisches Weihnachtsgeschenk erscheinen sollte, keinen Moment aus den Augen.
Eine gute Viertelstunde nach Beginn der Ausschiffung wurde der Strom dünner. Also befand sich Caroline unter den Letzten. Trotz seiner Ungeduld lächelte Jean-Louis. Wie alle Mädchen war Caroline sicher eitel. Bestimmt wollte sie sich noch für ihn schön machen.
Nach und nach verlief sich die Menge auf dem Kai. Paare und Familien, die sich gefunden hatten, gingen zu ihren Autos oder machten sich auf den Weg in Richtung Bahnhof. Als ein Ladekran des Schiffes vorsichtig eine riesige Kiste auf den Kai herabließ, fühlte sich Jean-Louis Collard unangenehm berührt. Von dort, wo er stand, konnte er sogar die Aufschrift lesen: »Bananen«. Was hatte das zu bedeuten? Wenn man schon die Waren auslud, hieß das, dass alle Passagiere ausgestiegen waren. Tatsächlich gingen jetzt nur noch Seeleute oder Hafenarbeiter den Landesteg hinauf und hinunter. Keine Caroline Ligier!
Und auf einmal beschlich Jean-Louis Collard ein unangenehmes Gefühl. Vor der Anlegestelle warteten noch etwa fünfzig Personen. Seltsamerweise handelte es sich ausschließlich um junge Männer um die fünfundzwanzig, wie er selbst. Jean-Louis musterte sie. Sie waren sorgfältig gekleidet, trugen tadellose Anzüge und Mäntel, gepflegte Krawatten und alle wirkten mächtig aufgeregt. Mehrere schauten ungeduldig auf die Uhr.
Plötzlich wurde Jean-Louis Collard von einer fürchterlichen Ahnung gepackt. Er trat auf den Burschen zu, der ihm am nächsten stand.
»Verzeihung,
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