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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Adlernase. Man hätte sie für Zwillinge halten können. Der einzige Unterschied bestand darin, dass der Neuankömmling ein Holzbein hatte. Seine Schwester Inès fiel ihm um den Hals.
    »Ja, das ist mein Bruder, ich erkenne ihn wieder! Der andere ist nur ein Ungeheuer, das mich getäuscht hat.« Bei seinem Anblick fiel Bertrande in Ohnmacht. Als sie wieder zur Besinnung kam, konnte sie nur stammeln: »Du bist es wirklich. Man hat mich betrogen.« Doch der andere schüttelte gehässig den Kopf: »Dass sich meine Schwester oder mein Onkel geirrt haben, war möglich, aber bei einer Ehefrau ist das undenkbar. Du hast mich entehrt.«
    Pierre Guerre schritt sofort zur Tat. Mit Hilfe einiger Dorfbewohner überwältigte er den anderen Martin Guerre, fesselte ihn und brachte ihn nach Toulouse, wo er wieder im Gefängnis landete. Sein Prozess wurde neu aufgerollt.
    Aber der Fall war noch längst nicht entschieden. Vor Gerichtspräsident du Faure, der diesen ungewöhnlichen Prozess leitete, verteidigte sich der Angeklagte wie ein Teufel.
    »Ich bin Martin Guerre! Mein Onkel hat meinen Doppelgänger aus Spanien geholt. Der ist zu allem fähig, um mich in den Ruin zu treiben.«
    Das war durchaus möglich, darum ließ Gerichtspräsident du Faure auch den Einbeinigen verhaften und verhörte ihn zuerst. Was dieser erzählte, stimmte mit dem bereits Gehörten überein. Er war in die spanische Armee eingetreten und bei der Belagerung von Saint-Quentin hatte man ihm nach einer Verletzung ein Bein amputiert. Er war noch eine Weile in der Gegend geblieben und dann nach Spanien ausgewandert, wo ihn sein Onkel aufgespürt hatte.
    Daraufhin kam es zur Gegenüberstellung zwischen den beiden Männern. Das war ein außerordentlicher Moment. Die beiden Doppelgänger, die sich nur durch das Holzbein unterschieden, fragten sich gegenseitig über Martin Guerres Vergangenheit aus, bis alle Zweifel ausgeräumt waren. Der Verdächtige, der am meisten über Martins Leben wusste, war eindeutig der, den Pierre Guerre beschuldigte, Arnaud du Thil zu sein, während sich der andere, der Einbeinige, oft irrte, Dinge verwechselte und stotterte. Der Zweibeinige hatte schließlich das letzte Wort. Anklagend zeigte er auf seinen Widersacher: »Wer sagt, dass du nicht Arnaud du Thil bist, von dem so viel die Rede ist und den mein Onkel schließlich aufgespürt hat?«
     
    Zum zweiten Mal kam es zum Prozess vor dem Parlament von Toulouse, diesmal jedoch ohne die beiden Männer. Man vernahm ausschließlich die Zeugen. Anfangs schwankten die Richter, doch als alle Bewohner von Artigat einstimmig versicherten, der Einbeinige sei Martin Guerre, nachdem sie Arnaud du Thil wiedererkannt hatten, stand ihr Urteil fest. Arnaud du Thil sollte »dem Henker übergeben werden, der ihn erst durch alle Straßen und Kreuzungen von Artigat führt und ihn dann mit einem Seil um den Hals vor das Haus des besagten Martin Guerre bringt, wo ein Galgen errichtet wird. Dort wird er gehängt und erdrosselt, seine Leiche anschließend verbrannt.«
    Das Urteil wurde dem Verurteilten in der Zelle vorgelesen. Er war in Ketten gelegt und sagte nichts. Dieses Mal war alles zu Ende. Jetzt konnte er keine Berufung mehr einlegen.
    Die Richter des Parlaments von Toulouse beließen es dabei. Sie versuchten nicht herauszufinden, was eigentlich passiert war. Dabei blieb das Rätsel ungelöst. Woher wusste Arnaud du Thil, wenn es sich tatsächlich um ihn handelte, so viel über Martin Guerre und wie war ihm dieser fantastische Betrug gelungen? Wie konnte er ein ganzes Dorf, eine ganze Familie beschwindeln?
    Sie selbst waren dazu zwar nicht neugierig genug, dafür war es aber ein anderer Mann. Der Richter von Rieux, der Arnaud du Thil zum ersten Mal verurteilt hatte, besuchte ihn in der Zelle.
    »Sie sind sowieso verloren, mein Freund. Ihre einzige Hoffnung, mit Ihrem Gewissen ins Reine zu kommen, ist ein Geständnis. Sind Sie wirklich Arnaud du Thil?«
    Nach kurzem Schweigen kam schließlich die Antwort. »Ja.«
    »Wo haben Sie Martin Guerre kennengelernt?«
    »Bei der Belagerung von Saint-Quentin. Er war genau wie ich in der spanischen Armee. Wir haben uns angefreundet, weil wir aus derselben Gegend stammten und wegen unserer verblüffenden Ähnlichkeit.«
    »Hat Ihnen Martin alles über sich erzählt?«
    »Ja. Er hat mir sein Leben geschildert. Er war verbittert und schlecht auf seine Frau, seine Familie und sein Dorf zu sprechen. Er hat mir eine Menge über die einen und die anderen erzählt und

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