Die blutende Statue
Klaus Voglers Gesicht auf. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Eine nicht mehr ganz junge Dame, ein bisschen überspannt. Nach dem Besuch bei ihr hat sie mir einen Brief geschrieben. Ich hab nicht geantwortet, weil ich dachte, das könnte ein... Annäherungsversuch sein. Außerdem bin ich kurz danach von Wien nach Salzburg umgezogen.«
Mit einer theatralischen Geste warf der Kommissar das Bündel Briefe auf den Tisch. Klaus Vogler betrachtete sie mit großen Augen. Er wurde bleich.
»Alles Schwindel, ein fürchterlicher Schwindel! Das ist nicht meine Schrift, außerdem wiederhole ich, dass ich Salzburg nie verlassen habe. Das können Sie nachprüfen.«
Tatsächlich prüfte die Polizei das nach und musste verblüfft feststellen, dass Klaus Vogler die Wahrheit sagte. Mit der ganzen Geschichte hatte er absolut nichts zu tun. Alles war ohne sein Wissen geschehen. Man hatte ihn nur ausgenutzt, um diese unglaubliche Geschichte zu inszenieren.
Nur, wer steckte dahinter? Natürlich Marguerite Hafner, Edith Nagels treu ergebene Gesellschaftsdame und Wirtschafterin!
Ihre Beschreibung wurde an die Polizei in ganz Europa weitergeleitet, sodass sie schließlich in Paris verhaftet werden konnte.
Sie allein hatte sich alles ausgedacht und in die Tat umgesetzt. Bei ihrem Prozess, der im Oktober 1955 eröffnet wurde, beschrieb sie alles offen und mit einem gewissen Zynismus.
»Als ich gesehen habe, welche Wirkung der junge Bengel auf Edith ausgeübt hat, dachte ich, ich könnte das irgendwie ausnützen. Darum habe ich ihr geraten, ihm zu schreiben, wobei ich alle Antworten verfasst habe. Während sie von ihrem Klaus träumte, hab ich im Nebenzimmer seine Briefe geschrieben.«
Marguerite Hafner wollte nie gestehen, wer die Komplizen waren, die die Briefe an den unterschiedlichsten Orten aufgegeben hatten. Vielleicht handelte es sich um einen Geliebten, mit dem sie ohne Wissen der Frau Hofrat eine Beziehung unterhielt? Wie dem auch sei, sie wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die arme Edith Nagel erhielt nur einen kleinen Teil ihres Vermögens zurück, am meisten traf sie jedoch, dass sie alle Illusionen verloren hatte und ihre Träume zusammengebrochen waren. Sieben Jahre lang war sie Luftschlössern nachgelaufen. Sie hatte geglaubt, in der Ferne einen Gefährten zu haben, jemandem nützlich zu sein, selbst wenn er sie ausnutzte, doch in Wirklichkeit war sie immer allein gewesen, völlig allein!
Als Klaus Vogler in den Zeugenstand gerufen wurde, erlitt die Frau Hofrat einen letzten Schock, vielleicht sogar den härtesten. Einige Bänke weiter vorn stand ein blonder Mann auf. Ihm hatte sie sieben Jahre lang geschrieben, für ihn hatte sie sich praktisch ruiniert und mit ihm wollte sie ihren Lebensabend verbringen. Doch seit Beginn des Prozesses hatte sie ihn nicht wiedererkannt!
Schöne Blüten
Cannes, 1960. An jenem Morgen erfuhr man mit Erstaunen und Trauer aus den Todesanzeigen mehrerer Tageszeitungen vom Ableben des Monsieur Van Goyen, einem Kaufmann holländischer Herkunft, der sich seit mehreren Jahren an der Côte d’Azur niedergelassen und in der Bekleidungsbranche wegen seiner Ehrenhaftigkeit und seines Wohlstands einen ausgezeichneten Ruf genossen hatte. Einige Tageszeitungen widmeten Monsieur Van Goyen einen Nachruf, in dem sie seinen Werdegang und seinen Erfolg beschrieben. Doch keiner erwähnte, dass er einen der größten Schwindel des 20. Jahrhunderts ausgeheckt hatte.
London, 1924. Besagter Van Goyen, damals sechsunddreißig Jahre jünger und hochelegant gekleidet, sprach im Büro der Firma Melton and Sons , der größten englischen Druckerei, vor. Einige Tage zuvor hatte er dort telefonisch seinen Besuch als Gesandter der portugiesischen Regierung in einer höchst geheimen Angelegenheit angekündigt. Doch für Mister Melton, dem Leiter der Druckerei, waren derartige vertrauliche Unterredungen nichts Ungewöhnliches.
Als Monsieur Van Goyen dann Mister Melton gegenüberstand, übergab er ihm einen Brief des Direktors der Bank von Portugal. Nachdem Mister Melton ihn gelesen hatte, erklärte ihm Van Goyen alle Details der Angelegenheit, die nicht — Staatsgeheimnisse verpflichten schließlich — schwarz auf weiß herauszulesen waren. Es ging darum, eine enorme Menge von portugiesischen Banknoten zu drucken. Mister Melton war nicht sonderlich überrascht darüber, da seine Druckerei häufig von Staaten, die nicht die entsprechende technische Ausstattung besaßen, fälschungssichere Banknoten
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