Die Bluterbin (German Edition)
„Ruhe“ brüllte.
Sein Gesicht war mit einem Schlag wieder ernst und sein Blick noch finsterer als vorher geworden. Er starrte auf Otto wie eine Schlange auf ihr Opfer.
„Ihr wollt mir also tatsächlich weismachen, dass dieses Adelsbürschchen einen Mönch umgebracht hat?“ Sein Blick wurde lauernd.
„Haltet Ihr mich etwa für völlig verblödet?“ Er brüllte so laut, dass Otto unwillkürlich zusammenzuckte.
„Eher würde ich Euch selbst den Mord zutrauen“, setzte er etwas leiser hinzu, ohne Otto dabei aus den Augen zu lassen.
Otto begann innerlich zu zittern, während er verzweifelt überlegte, wie er die Situation noch zu seinen Gunsten wenden konnte. Er beschloss, die Flucht nach vorn anzutreten.
„Dann habt Ihr Euch also auch von ihrem unschuldigen Gesicht täuschen lassen? Ihr könnt froh sein, dass ich rechtzeitig eingetroffen bin, um Euch zu warnen, denn das Mädchen hat den Teufel in sich. Bisher hat sie jedem, der mit ihr zu tun hatte, nichts als Unglück gebracht“, erwiderte er mit gesenktem Blick.
Vorsichtig schielte er nach oben, um Enguerrands Reaktion auf seine Worte beobachten zu können.
Normalerweise reichte der Name des Teufels aus, um jeden ehrbaren Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen, doch Enguerrand zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Ihr behauptet also, der Teufel befinde sich in dem Mädchen“, begann er so langsam, als würde er mit einem Schwachsinnigen sprechen. „Und was erwartet Ihr jetzt von mir? Dass ich vor lauter Schreck zu zittern anfange?“
Drohend beugte er sich vor.
„Ich sage Euch, was Euer Bischof wirklich will. Er will das Mädchen wegen seiner wundersamen Heilkräfte zurückhaben, und die Geschichte mit dem Mord und dem Teufel habt Ihr Euch nur ausgedacht, um mir Angst einzujagen.“
Damit war Otto geschlagen. Doch er wollte sich seine Niederlage nicht eingestehen.
„Was ich gesagt habe, ist wahr“, entgegnete er trotzig. „Hinterrücks und voller Heimtücke haben die beiden unserem armen Bruder den Dolch in den Rücken gestoßen. Sie werden der Gerechtigkeit nicht entgehen. Der Bischof wird sie und den jungen Grafen der Heiligen Inquisition übergeben“, fügte er entschlossen hinzu.
„Dazu müsste Euer werter Bischof die beiden aber erst einmal haben, nicht wahr?“ Enguerrands Stimme klang nachsichtig.
Otto nickte.
„Nach den geltenden Gesetzen ist es Eure Pflicht, der Kirche bei der Gefangennahme entflohener Mörder behilflich zu sein“, forderte er mit dem Mut der Verzweiflung. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Wenn er ohne Marie und Robert zurückkehrte, würde Radulfus seine ganze Wut und Enttäuschung an ihm auslassen, und damit wären seine ganzen hochfahrenden Pläne, in den Gewürzhandel einzusteigen, mit einem Schlag vernichtet.
„Nach den geltenden Gesetzen!“ Enguerrand schlug sich vor Lachen mit beiden Händen auf die Schenkel. Seine Männer fielen ebenfalls wieder in sein Lachen mit ein.
Doch erneut fand seine Erheiterung ein abruptes Ende.
„Eure Gesetze kümmern mich einen Dreck, sie sind so bedeutungslos wie ein Fliegenschiss, und jetzt geht mir aus den Augen und richtet Eurem Bischof aus, dass er sich das Mädchen aus dem Kopf schlagen kann.“
Mit demütig gesenktem Kopf verließ Otto den Saal, bevor Enguerrand es sich vielleicht noch anders überlegte.
Der Diener, der ihn hergebracht hatte, erwartete ihn bereits vor der Tür des Saales.
„Ich habe Euch ja gesagt, dass der Herr schlechte Laune hat“, bemerkte er mit einem Blick in Ottos Gesicht.
„Schert Euch zum Teufel“, sagte Otto.
Ohne auch nur eine Sekunde länger zu zögern, bestieg er sein Pferd und ritt zum Tor, durch das man ihn unbehelligt ziehen ließ. Vor dem Tor zügelte er sein Pferd und sah sich das Gelände innerhalb der äußeren Befestigungsmauer genauer an.
Er dachte nicht daran, kampflos aufzugeben, auch wenn er noch keinen genauen Plan hatte.
Vor ihm lagen die Stallungen, dahinter der Turnierplatz und die Weiden für die Pferde. Hinter ihm befanden sich die Wirtschaftsgebäude und die kleinen Handwerkshütten, aus denen metallisches Hämmern klang. Während er noch überlegte, was er tun sollte, kam ein Wagen mit fahrenden Sängern an ihm vorbei. Zwei Männer gingen vor dem Wagen her, der von einem struppigen kleinen Pferd gezogen wurde.
Im Wagen, um den zwei schwarz-weiß gescheckte Hunde laut bellend herumsprangen, saß eine Frau und spielte auf einer kleinen beinernen Flöte. Sowohl die Frau als auch die beiden
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