Die Blutgabe - Roman
gesetzt, in die Richtung, aus der der Wind kam.
Menschen. Und Vampire. Sie konnten nicht weit entfernt sein.
Schneller und schneller rannte Katherine, ohne selbst genau zu wissen, was sie antrieb. Ihr Vorhaben, ihr Tagebuch, ihre Vergangenheit schienen ihr in diesem Moment zweitrangig zu sein. Sie konnte sich später darum kümmern. Zuerst musste sie dieser Witterung nachgehen. Sie musste sie sehen. Die Menschen, die in den Dirty Feet herumliefen.
Der Duft wurde stärker. Intensiver, bis Katherine fast schwindelig davon wurde. Süßes, starkes Menschenblut.
Lebendiges Blut.
Wahres Blut.
Mit einem großen Sprung gelangte sie auf Höhe der Fenster im ersten Stock eines Hochhauses. Ihre Finger fanden Halt in den Rissen und Poren des alten Putzes, und mit einer schnellen Bewegung streifte sie sich die Sandalen von den nackten Füßen. Ihre Muskeln kribbelten, als sie sich an den Aufstieg machte. Wie lange war sie nicht mehr so geklettert? Ihr war nicht klar gewesen, wie sehr sie es vermisst hatte.
Sie konnte das Blut nun förmlich schmecken, so dicht war sein Geruch in der schweren Luft. Ein erwartungsvolles Zittern rann durch Katherines Körper. Dort hinter dem Fenster. Direkt über ihr …
Mit einem letzten Anspannen der Muskeln drückte sie sich ab und brach durch die Scheibe in den Raum.
Ein erschreckter Aufschrei gellte durch die Nacht.
»Scheiße!«
Dann ein ohrenbetäubendes Krachen.
Es waren zwei. Ein Mann und eine Frau. So viel konnte Katherine noch erkennen, bevor das Geschoss in ihren Bauch eindrang und dort explodierte. Es zerfetzte ihre Nieren und riss Löcher in ihre Lunge. Zischend entwich die Luft aus Katherines Kehle. Ihre Füße verloren den Boden, als die Wucht eines zweiten Schusses sie zurückschleuderte und ihre Schulter zerschmetterte. Japsend versuchte sie zu atmen, während das Blut über ihre Brust lief. Weitere Schüsse krachten, trafen sie in Magen, Arm und Oberschenkel. Röchelnd sank sie zu Boden. Was waren das für Menschen?Und was waren das für Waffen, mit denen sie sie derart zurichten konnten?
Da hörte sie die Stimme der Frau. »Bruce! Bruce, hör auf! Sie
heilt
sich!«
Das Donnern verstummte. Unheilvolle Stille sank herab. Katherine zitterte am ganzen Leib. Sie spuckte Blut und spürte jede einzelne ihrer Muskelfasern vibrieren. Zorn flammte in ihr auf. Das würden sie büßen!
Die Welt wurde rot.
»Dein Name!«, rief die Frau. Ihre Stimme überschlug sich. Der Geruch ihrer Angst machte Katherine rasend. »Wie ist dein Name?«
Katherine stieß ein wütendes Fauchen aus.
»Katherine«, zischte sie.
Und dann zerfetzte das Geschoss ihr Herz.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie in einer Lache aus Blut. Die Menschen waren verschwunden. Jeder einzelne Knochen in ihrem Körper schmerzte, und sie fühlte die Splitter etlicher Geschosse tief in ihrem bereits heilenden Fleisch stecken. Katherine wagte nicht, darüber nachzudenken, wie oft sie getroffen worden war.
Was für Menschen waren das?
Die Frage vibrierte in ihrem noch immer dröhnenden Schädel.
Chase.
Sein Gesicht tauchte vor Katherines innerem Auge auf. Sein zynisches, überlegenes Grinsen. War er auch einer von ihnen? War es das, was er gemeint hatte, als er von Arbeit sprach? Mit zitternden Fingern wischte sich Katherine über die blutverschmierte Stirn. Der Gedanke verursachte ihr Übelkeit. Menschen, die in der Stadt herumliefen und auf Vampire schossen. Das war abartig. Das war krank.
Für sie war es noch einmal gutgegangen. Sie hatte überlebt. Sie hatte sich heilen können. Aber was wäre mit ihr geschehen, wenn sie jünger gewesen wäre? Bei progressiven Vampiren bildete sich die Fähigkeit zur Relacinbildung und somit zur Heilung erst nach dem Erwachen aus. Wenn diese Geschosse also junge Bluter trafen …
Ein Würgen schnürte Katherine die Kehle zusammen. Ein unsterbliches Leben in einem todesähnlichen Zustand, ohne die geringste Chance, jemals daraus zu erwachen. Wussten diese Menschen denn nicht, was sie taten?
Und so einer sollte ihr Tagebuch bekommen!
Ein guter Bekannter von Kris …
Hatte Cedric davon gewusst?
Manchmal ist es besser, wenn man nicht zu genau nachfragt.
Tränen stiegen Katherine in die Augen. Wütende Tränen.
Er hatte es gewusst.
Und er hatte es gebilligt.
Hatte den Menschen in ihre Forschungsstation gelassen, obwohl er ihn besser getötet hätte. Und Kris, der ein Freund dieser Bestien war? Katherine hatte immer geahnt, dass er nichts Gutes plante, und immer wieder
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