Die Blutgabe - Roman
die Wahrheit in Worte gefasst zu hören, war schlimmer, als er erwartet hatte.
Sie würde nicht zurückkommen. Die Verbindung zwischen ihnen war zu stark, um noch auf etwas anderes hoffen zu können. Er konnte es spüren, mit jeder Faser seines Körpers.
Sie war nicht mehr da. Er würde sie nicht wiedersehen. Nicht als Katherine.
Und es war seine Schuld.
Ein einzelner Tropfen fiel auf den Ledereinband des Tagebuchs.
Salzwasser. Keine gute Art, mit einem so wichtigen Dokument umzugehen
, dachte Cedric.
Wirklich keine gute Art.
Aber er wischte den Tropfen nicht weg.
Kapitel Vierzehn
Forschungsstation White Chapel, Kenneth, Missouri
10. Februar 2010
Nun bin ich also wirklich hier.
Peru. Der Nationalpark Alto Purus. Der Amazonas und Madre de Dios. Ich kann es immer noch nicht richtig fassen. So lange haben wir davon geredet, dass es mir ganz und gar surreal erscheint, wahrhaftig in dieser Forschungsstation zu sitzen.
Fast drei Tage ist es her, dass unser Flieger in Lima gelandet ist. Und einen, seit ich das letzte Mal mit Jody und Jim gesprochen habe. Denn hier in der kleinen Feldstation, in der wir vorerst für ein paar Tage leben werden, gibt es keine Telefone. Nicht mal darauf, dass es Strom gibt, kann man sich verlassen. Wenn es zu sehr regnet, fällt er aus – und dann hilft auch die Internet-Satellitenverbindung nicht mehr viel. Es ist wie eine völlig andere Welt. Ein anderer Planet vielleicht sogar. Und unser Vorhaben, mitten im Dschungel die Streifgebiete der Jaguare zu charakterisieren, erscheint mir jetzt, wo der Regenwald direkt vor der Tür beginnt, viel waghalsiger und aufregender, als ich es mir je hätte ausmalen können.
Allein schon der Flug hierher war ein Abenteuer. Straßen in dieses Gebiet gibt es keine, denn zwischen Lima und dem Alto Purus liegen die Anden. Also haben wir in Pucallpa ein winziges Motorflugzeug angeheuert, das uns gestern auf dem kleinen Flugfeld bei der Station abgesetzt hat. Der Regenwald sieht
von oben aus wie ein grünes Meer, ganz ruhig und friedlich. Was für ein Unterschied zu all den Eindrücken, die auf einen einstürzen, wenn man unter den Bäumen steht! Zu Hause ist es so, man sieht einen recht klaren und aufgeräumten Hintergrund und davor Dinge, die passieren. Hier aber ist schon der Hintergrund so überwältigend, dass man gar nicht in der Lage ist, all die Tiere und Pflanzen wahrzunehmen, für deren Vielfalt der Dschungel so bekannt ist. Und doch sind sie da, die Tiere. Man hört sie Tag und Nacht. Das alles ist gleichzeitig schaurig und wunderschön – sicher wäre es weniger schaurig, wenn ich nicht wüsste, dass wir schon bald für viele Tage mittendrin sein werden in all dem Grün und all den Geräuschen. Ich bin jetzt sehr froh, dass ich daran gedacht habe, dieses Notizbuch mitzunehmen. So kann ich wenigstens all meine kleinen Sorgen und Befürchtungen aufschreiben, ohne mich zu schämen. Kelly, Trevor und George nämlich scheinen bei weitem nicht so ängstlich zu sein wie ich. Sie sind restlos begeistert, und ich habe den Eindruck, sie wären wohl enttäuscht gewesen, wenn uns hier weniger vorsintflutliche Verhältnisse erwartet hätten. Ach, was sag ich, vorsintflutlich. Sintflutlich trifft es eher. Denn es regnet seit heute Vormittag ohne Pause. Die Flüsse und Bäche in der Nähe der Station sind innerhalb von zwei Stunden gute drei Meter gestiegen, weswegen sich unser Aufbruch noch um ein paar Tage verzögern wird. Meine lieben Kollegen sind deshalb ein wenig enttäuscht. Ich aber bin ganz froh, noch ein wenig Zeit zum Eingewöhnen zu haben.
11. Februar 2010
Heute haben wir den Mann kennengelernt, der uns in den kommenden Wochen durch den Dschungel führen soll. Sein Name ist Angél, er ist zur Hälfte indigener Abstammung und
macht auf mich einen sehr freundlichen und zuverlässigen Eindruck. Darüber hinaus ist er ein wirklich drolliges Kerlchen (obwohl ich das in seiner Gegenwart natürlich nie so ausdrücken würde). Das liegt sicher daran, dass er mindestens einen halben Kopf kleiner ist als ich, mit einem wundervollen spanischen Akzent Englisch spricht und dabei ständig lächelt. Er hat uns die geplante Route durch den Regenwald erklärt. Alle drei bis vier Tage sollen wir eines der im Urwald verborgenen Eingeborenendörfer erreichen, um uns mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die dazwischenliegenden Nächte werden wir im Zelt verbringen. Etwa zwei Wochen wird es dauern, bis wir in dem Gebiet ankommen, wo wir die Fotofallen
Weitere Kostenlose Bücher