Die Blutgabe - Roman
hatte Cedric sich geweigert, auf sie zu hören! Für die Forschung! Ein bitteres Lachen schüttelte Katherines schmerzenden Körper. Obwohl jede Bewegung in ihren Muskeln brannte, kämpfte sie sich auf die Füße. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und ihr wurde schwarz vor Augen. Niemals. Niemals würde sie diesen Teufeln ihr Tagebuch überlassen. Sie selbst würde es holen. Jetzt gleich.
Auf weichen Knien schwankte sie zum Fenster. Ihr Navigationsgerät zeigte noch immer unbeirrt den Standort ihres alten Hauses an. Es war nicht mehr weit. Entschlossen setzteKatherine den Fuß auf die Fensterbank – als ein leises Fauchen dicht hinter ihr sie herumfahren ließ.
Ein Vampir hockte am Rand der Blutlache, die sie hinterlassen hatte. Speichel troff von seinen langen Zähnen. In seinen geröteten Augen glomm der Wahnsinn. Seine Muskeln waren zum Sprung gespannt.
Katherines Atem stockte.
Sie hatte ihn nicht kommen gehört.
Sie hatte ihn nicht einmal gerochen.
Sie war zu schwach.
In diesem Moment hatte sie das Gefühl, als würde etwas in ihr zerbrechen. Ein verzweifeltes Lachen drang in abgehackten Stößen aus ihrer geschundenen Kehle. Wie dumm sie war! Sie wollte ihr Tagebuch holen? In ihrem Zustand?
Dieser Bluter. Er war so jung.
Und sie konnte ihm doch nicht entkommen. Selbst, wenn sie ihn mit viel Glück besiegte.
Dort unten auf der Straße gab es noch Tausende von seiner Art.
Von
ihrer
Art.
Sie konnte nichts retten, dachte Katherine. Nicht ihr Tagebuch. Nicht ihre Vergangenheit. Und auch nicht sich selbst.
Als der Bluter sie ansprang und sich in ihrem Hals verbiss, versuchte sie nicht einmal mehr, sich zu wehren. Ineinander verschlungen taumelten sie, verloren das Gleichgewicht und stürzten aus dem Fenster dem harten Asphalt entgegen.
Das Gefühl, in ein schwarzes Loch gesogen zu werden, vermischte sich mit einem letzten absurden Gedanken.
Zu Hause. Ich bin zu Hause.
Den Aufprall spürte sie bereits nicht mehr.
Kapitel Dreizehn
Forschungsstation White Chapel, Kenneth, Missouri
Mit finsterem Blick starrte Cedric auf die Titelseite des Lokalteils der Tageszeitung.
»Serientäter schlagen wieder zu: 19 Progressive tot aufgefunden«
Keine große Schlagzeile. Nur eine unscheinbare Überschrift im unteren Drittel der Seite. Dazu ein kurzer Text, der neben den Meldungen über den geplanten Bau eines neuen Einkaufszentrums und der Ansiedlung eines großen Automobilherstellers im Industriegebiet fast unsichtbar wurde. Fünf in Uptown. Sieben im Lester-Park-Wohnviertel. Und weitere sieben im Gewerbegebiet. Nüchterne Zahlen. Keine Angaben über die Dirty Feet. Cedric seufzte. Solche Meldungen waren keine Seltenheit. Die erwähnten »Serientäter« geisterten bereits seit Jahren durch den Lokalteil. Und das einzig Interessante, was Cedric bisher daran hatte finden können, war, dass offenbar niemand ernsthaft bestrebt war, den Fall zu lösen. Junge Progressive gab es in Kenneth, wie in jeder anderen Stadt, genug. Zu viele sogar. Und obwohl es natürlich niemand offen zugab, waren viele der konservativen Bürger vermutlich sogar froh darüber, dass sich jemand ihrer annahm. Cedric selbst hatte der Angelegenheit bisher recht leidenschaftslos gegenüber gestanden. Es betraf ihn nicht, und er hatte ausreichend andere Sorgen, um seine Gedanken damit zu beschäftigen.
Jetzt aber, wo er einen dieser Serientäter für sich arbeiten ließ, sah die Sache natürlich anders aus. Es wäre für Cedric ein Leichtes und zudem seine Pflicht als rechtstreuer Bürger der Vereinigten Staaten gewesen, den Menschen, der dort in seinem Besucherstuhl saß, den Behörden zu übergeben. Genau wie seinen vampirischen Begleiter.
Aber Cedric hatte nichts dergleichen vor.
Bedächtig strichen seine Finger über den fleckigen Einband des Tagebuchs, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Dann hob er den Blick und sah dem Menschen direkt in die Augen. Chase wartete auf eine Antwort.
»Eine Führung durch die Station. Mehr nicht?« Cedric hob zweifelnd eine Braue.
Chase grinste schief. »Mehr nicht. Sie haben sonst nichts, was mich interessiert, Doktor. Bezahlen Sie Kris, wenn Sie unbedingt wollen.«
Cedric warf einen kurzen Blick zu seinem Biotechniker, doch dessen Gesicht war glatt und undurchschaubar – wie gewöhnlich, wenn er sich darauf konzentrierte, sich zu beherrschen. Nicht, dass Cedric noch einen Hinweis gebraucht hätte. Er hatte von Anfang an geahnt, dass dieses Geschäft sich eher zwischen Kris und Chase abwickelte,
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