Die Blutgabe - Roman
als dass er selbst involviert würde. Nun gut. Ihm war es ganz recht so, auch wenn er nicht begriff, warum dieser Mensch Interesse daran haben sollte, White Chapel zu besichtigen. Er wollte auch gar nicht darüber nachdenken. Ihm wären nur zu viele Gründe eingefallen, seine Genehmigung zu verweigern. Und wer wusste schon, ob er Chase’ Dienste nicht noch einmal in Anspruch nehmen wollte?
»Also schön.« Er nickte knapp. »Ich würde Katherine bitten, dich herum zu führen, aber …« Bevor er es verhindernkonnte, legte sich seine Stirn in düstere Falten. » … sie ist zur Zeit nicht im Haus«, beendete er in möglichst neutralem Tonfall seinen Satz. Weder Chase noch Kris mussten wissen, wie groß seine Sorge um Katherine war. Seit ihrer Auseinandersetzung am Vortag hatte er sie nicht mehr gesehen. Sie war nicht in ihrem Büro gewesen, als er am Abend zu ihr gehen wollte, um sich für sein grobes Verhalten zu entschuldigen. Auch in den Menschenunterkünften oder bei der progressiven Kontrollgruppe, wo sie oft Zuflucht suchte, hatte er sie nicht finden können. Und nachdem er daraufhin auch noch alle Labore und Büros durchsucht hatte, gefolgt vom Keller und sogar den Schutzbunkern, hatte er einsehen müssen, dass Katherine sich nicht mehr in der Forschungsstation aufhielt. Natürlich war es möglich, dass sie einfach nach Hause gegangen war. Aber Cedric hatte eine sehr bestimmte Ahnung, dass es sich anders verhielt – und dass sie bis jetzt, wo der Mensch ihm bereits das Tagebuch auf den Schreibtisch gelegt hatte, immer noch nicht wieder aufgetaucht war, trug nicht eben zu seiner Entspannung bei.
Er konnte ihr nicht folgen. Sie nicht suchen. Bei aller Sorge war ihm so viel Vernunft noch geblieben – und das machte ihn rasend, obwohl er sich weigerte, es sich selbst einzugestehen.
»Kris wird dich begleiten. Er kennt sich hier ebenso gut aus.« Er nickte dem jüngeren Vampir zu und verengte kurz die Augen. »Ich gebe Sid Bescheid, dass er euch in Ruhe lässt.«
Ein Muskel zuckte fast unmerklich in Kris’ Kiefer, als der Name des Wächters fiel. Aber er sagte nichts und erwiderte nur das Nicken. Cedric unterdrückte ein resigniertes Kopfschütteln und verkniff sich für den Moment die Frage, wiees der Nr. 159 ging. Es war ihm eigentlich auch egal. Er hatte sich ohnehin noch keine weiteren Gedanken um sie gemacht. Neben Katherines Verschwinden erschien ihm das alles vorerst weniger wichtig.
Chase erhob sich schweigend. Das Grinsen war von seinem Gesicht verschwunden. Er wandte sich zur Tür. Doch auf der Schwelle hielt er noch einmal inne.
»Doktor Edwards …« Seine Stimme klang vorsichtig. Nachdenklich. Und dabei dennoch merkwürdig nüchtern. Cedrics Nacken begann zu kribbeln.
»Was noch?«
»Ich dachte, es interessiert Sie vielleicht zu hören, dass zwei meiner Kollegen in der letzten Nacht in den Dirty Feet auf eine ältere Bluterin gestoßen sind. Sie hat sie angegriffen, darum haben sie sie vorübergehend außer Gefecht gesetzt, um fliehen zu können.« Chase sah Cedric unverwandt in die Augen. »Ihr Name war Katherine.«
Die Zeitung knisterte, als Cedrics Hand sich zur Faust ballte, bis die Knöchel weiß hervor traten.
»Danke«, sagte er und wunderte sich selbst darüber, dass seine Stimme so ruhig klang. »Das ist eine wertvolle Information. Ich werde später darüber nachdenken, was zu tun ist. Jetzt muss ich mich erst um das Tagebuch kümmern. Viel Vergnügen bei der Besichtigung.«
Sekundenlang blieb Chase noch im Türrahmen stehen. Dann nickte er langsam, wandte sich endgültig ab und verließ hinter Kris das Büro.
Cedric blieb sitzen, wo er war und zog das Tagebuch zu sich heran. Je eher er mit der Arbeit begann, desto besser. Darauf hatte er schließlich lange gewartet.
Aber er konnte sich nicht überwinden, das Buch zu öffnen.Sein Kopf fühlte sich so schwer an, dass er glaubte, ihn selbst nicht halten zu können. Seufzend stützte er ihn in die Hände. Vielleicht sollte er die Lektüre des Tagebuchs doch auf morgen verschieben und sich endlich ein wenig Schlaf gönnen. Er war müde. Überarbeitet, sicherlich … Dieser ganze Stress …
Fast hätte er bitter aufgelacht.
Wem wollte er hier etwas vormachen? Sich selbst? Weil er nicht über die schrecklichen Tatsachen nachdenken wollte? Es würde nichts helfen, und er wusste es. Es half nie.
Katherine …
Cedric schloss kurz die Augen. Das Atmen fiel ihm schwer.
Chase hätte nichts sagen müssen, damit es ihm klar wurde. Aber
Weitere Kostenlose Bücher