Die Blutgabe - Roman
für die Jaguare aufstellen wollen. So wie Angél von der geplanten Unternehmung spricht, klingt es gleich sehr viel mehr nach Abenteuerurlaub als nach Selbstmordkommando. So kann ich dem Aufbruch schon wesentlich entspannter entgegensehen als noch gestern Abend, obwohl die Stromversorgung wegen des Regens immer noch streikt und ein Kontakt zur Außenwelt daher bis auf weiteres nicht möglich ist. Ich habe dem Piloten vom Versorgungsflugzeug einen Brief an meine Lieben mitgegeben. Etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig.
Viel Zeit, um mir Sorgen zu machen, habe ich ohnehin nicht mehr. Es gibt so viele Vorbereitungen zu treffen! Ich hoffe nur, ich bekomme noch einmal die Gelegenheit, mit Jim zu sprechen, bevor es endgültig losgeht …
15. Februar 2010
Wir sind unterwegs. In den letzten Tagen ging plötzlich alles sehr schnell, so dass ich nicht einmal Zeit gefunden habe, Einträge in meinem Tagebuch zu verfassen. Wir haben alles vorbereitet, um sofort aufbrechen zu können, wenn der Regen
aufhört. Gestern Abend war es soweit, und über Nacht ist das Hochwasser um gute zwei Meter zurückgegangen. Heute früh dann hat Angél uns noch vor Tagesanbruch und noch vor dem Weckerklingeln aus den Federn gescheucht, und mit dem ersten Licht sind wir losmarschiert. Weil wir hier so nah am Äquator sind, gibt es keine Sonnenauf- oder Untergänge, wie wir sie kennen. Es wird ganz plötzlich hell oder dunkel, das dauert keine fünfzehn Minuten. Ganz ohne Farbenspiel und Romantik. Überhaupt scheint es im Urwald niemals richtig hell zu sein, alles ist nur in grüngraues Zwielicht getaucht. Dafür wird es aber um so dunkler. Angél hat uns schon vorgewarnt, dass wir stets rechtzeitig ein Lager aufschlagen müssen. Und er hat recht damit. Denn wenn die Sonne erst weg ist, kann man sprichwörtlich die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Jetzt ist es 8.00 Uhr am Abend und bereits stockfinster. Ich bin dankbar für die Stirnlampe, denn so kann ich zumindest noch ein paar Eindrücke festhalten, bevor ich einschlafe. Und das wird sicher bald sein. So ein Tag im Dschungel ist unglaublich anstrengend. Obwohl ich zugeben muss: Er ist auch weitaus schöner, als ich erwartet hatte! Die Begeisterung meiner Kollegen hält an, und mittlerweile hat sie mich bei aller Ängstlichkeit auch gepackt. Es gibt so viel zu sehen, jetzt, da ich mich allmählich an die unruhige Kulisse gewöhne. Ganz unglaublich – da studiert man jahrelang Biologie, wählt sogar den Schwerpunkt tropische Ökologie und glaubt, sich ganz gut auszukennen in der Flora und Fauna des Amazonas. Und dann kommt man her und kennt doch kaum eines der Lebewesen, die man entdeckt. Manchmal kann Angél unsere Fragen beantworten, aber in – zumindest für meine Neugier – bei weitem zu vielen Fällen hilft nicht einmal der Bestimmungsschlüssel weiter. Ich kann nur mit großen Augen durch dieses grüne Paradies wandern
und muss ständig acht geben, den Mund nicht zu weit aufzusperren. Es könnte sonst zu leicht etwas hineinkriechen oder -fliegen. Kein Scherz, die Gefahr besteht tatsächlich, denn wir sind ständig umgeben von summenden, sirrenden Insekten. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zähle ich bereits heute siebzehn Mückenstiche. George kommt sogar auf dreiundzwanzig, und Kelly und Trevor geht es kaum besser. Wenn das so weitergeht, wird Jody mich sicher nicht wiedererkennen, wenn ich nach Hause komme. Ach, mein Kind. Ich bin so froh, dass noch ein Ferngespräch per Satellit zustande kam, bevor wir die Station verlassen haben. Aber an ihr trauriges Stimmchen zu denken, bricht mir jedes Mal das Herz. Es dauert noch so furchtbar lang, bis ich sie wiedersehen darf! Zum Glück ist diese Reise so spannend, dass ich tagsüber kaum Zeit habe, an den Trennungsschmerz zu denken. Trotzdem beneide ich Kelly und Trevor, die gemeinsam hier sein können. Ich muss ihnen aber zugutehalten, dass sie sehr rücksichtsvoll und einfühlsam mit meinen Launen umgehen.
Mir fallen die Augen zu. Ich glaube, für heute muss ich Schluss machen. Dabei möchte ich noch so viel schreiben. Und morgen wird sicher noch ein ganzer Berg Erwähnenswertes hinzukommen. Wie ich es schaffen soll, alles festzuhalten, was hier an Eindrücken auf mich einstürmt, ist mir ein Rätsel. Aber ich werde mein Bestes tun.
18. Februar 2010
Die erste Etappe ist geschafft. Heute gegen Mittag haben wir das erste Dorf auf Angéls Route erreicht. Seit drei Tagen habe ich nichts in dieses Buch geschrieben. Und das, obwohl
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